Zwischen Menschen und Gott geschah mehr, als in einer Festschrift steht
Liebe Leserin, lieber Leser,
vor einiger Zeit war ich eingeladen zu einem Kirchenjubiläum mit der Vorstellung des neuen Buches zur Geschichte der Kirche und der Kirch- gemeinde. Bei diesem Anlass wies der Historiker darauf hin, dass wegen der begrenzten Quellen einiges aus der Geschichte der Kirchgemeinde im Dunkeln bleibe. Und er betonte auch, dass Historiker eigentlich nur die äussere Geschichte der Kirche erforschten. Was aber die Seelsorger über die Jahrhunderte inhaltlich geleistet hätten, das entziehe sich ihrer Kenntnis.
Tatsächlich sollten wir uns bei allen Kirchenjubiläen – seien sie verbunden mit der Renovation der Kirche oder nicht – auch fragen: Feiern wir eigentlich allein das Jubiläum des Kirchengebäudes eines Dorfes? Oder sollten wir nicht auch versuchen, das geistliche und diakonische Wirken der Kirche und ihres Seelsorgepersonals zu würdigen? Heutzutage ist das recht schwierig, da die grossen Kirchen mit einigen Problemen zu kämpfen haben und oft im gesellschaftlichen Gegenwind stehen. Darum sind wahrscheinlich nur wenige in der Gesellschaft daran interessiert, die über Jahrhunderte geleistete seelsorgerliche Arbeit der Kirchen anzuerkennen. Was leistet denn die Kirche abgesehen davon, dass sie in fast jedem Dorf ein grosses Gebäude mit Glockenturm unterhält (was übrigens auch wichtig ist)? Zu den Hauptaufgaben der Kirche nach evangelisch-reformiertem Verständnis zählen: Verkündigung, Seelsorge, Diakonie und Bildung.
Die Verkündigung der Botschaft vom kommenden Reich Gottes hat den Christen früher wie heute Trost gegeben. Es darf nicht sein, dass Tyrannen, Diktatoren und skrupel- lose Machthaber das letzte Wort haben; Gott ist grösser und stärker und die Würde jedes Menschen muss geachtet werden. In der Diakonie haben im Glarnerland Die Jubiläumsschriften sind bei den jeweiligen Sekretariaten zu beziehen. Fotos: Swantje Kammerecker. auch Pfarrpersonen dazu beigetra gen, dass den Menschen in Armut und in unmenschlichen Arbeitsbedingungen geholfen wurde. So hatte etwa Pfarrer Bernhard Becker aus Linthal grossen Anteil am weg- weisenden Fabrikgesetz von 1864, welches die tägliche Arbeitszeit in den Glarner Fabriken auf 12 Stunden begrenzte. Die Kirche und das Christentum vertreten grundsätzlich das Ideal einer gerechten, solidarischen Gesellschaft und dass alle Menschen gleich sind vor Gott.
In unseren Kirchgemeinden gibt und gab es unzählige Seelsorge-Gespräche, von denen selbstverständlich keine Protokolle existieren. Pfarrpersonen spendeten den Menschen Trost in einer schwierigen Lebenssituation. Sie konnten vielleicht das Problem nicht einfach aus der Welt schaffen, aber sie hatten ein offenes Ohr für die Anliegen der Menschen. Sie konnten durch Beratung, durch Zuspruch eines Bibelworts, durch eine sakramentale Handlung oder durch ihre versprochene Fürbitte vielen Menschen Halt und Zuversicht geben. Sie waren ihnen verbunden, liessen sie nicht allein und waren ver schwiegen. Sie gaben ihnen auch Antworten auf ganz grundsätzliche Fragen wie: «Warum bin ich auf der Welt? Gibt es Gott? Warum gibt es Leid auf der Welt? Was kommt nach dem Tod?
Von Pfarrer Ruedi Hofer
Zwischen Menschen und Gott geschah mehr, als in einer Festschrift steht