«Wir brauchen eine Kirche»
Es ging Mawa bei dieser Antrittspredigt nicht darum, seine kleine Gemeinde, die sich gerade erst gefunden hatte, zum Gehorsam aufzufordern. Vielmehr wollte er ihnen sagen, wie schlimm, ja tödlich es sein kann, sich nicht von dem zu lösen, was hinter einem liegt. «Gott und die Gemeinschaft» hat er gesagt, «sind das, was uns trägt, wenn alles andere verloren ist.»
Es waren große Worte inmitten der Hoffnungslosigkeit. Jene, die ihm auf den einfachen Bänken aus Baumstämmen gegenübersassen, hatten Schlimmes hinter sich. Sie waren, so wie der Pastor auch, vor dem Bürgerkrieg und der Hungersnot in ihrem Heimatland Südsudan in den Norden Ugandas geflohen. Manche hatten Wochen gebraucht, immer auf der Hut vor Regierungssoldaten oder Rebellen, die beide gleichermassen plündern, vergewaltigen und morden. Viele hatten zuvor erlebt, wie ihre Angehörigen starben, wenn die Dörfer überfallen und angezündet wurden, hatten Todesangst gelitten. Was sie aus ihren Häusern, von ihrem alten Leben hatten retten können, war nicht mehr als das, was sie auf dem Rücken tragen konnten: ein paar Töpfe, ein wenig Reis oder Maismehl, eine Matte, eine Decke. Alles andere war verloren.
Worte für die Hoffnungslosen
Und nun sassen sie in dieser provisorischen Kirche und es war Mawas Aufgabe, unter all den Trostworten, die die Bibel für die Hoffnungslosen bereit hält, jene zu finden, die Mut machen für die Zukunft. Er stand vor ihnen, einen Altar, eine Kanzel gab es nicht, keine Orgel, keine Gesangsbücher. Nicht einmal Wände, um die Gläubigen vor Wind und Regen zu schützen, nur das Dach auf langen Pfosten, nur die Baumstämme zum Sitzen. Und doch schien ihm, in den 20 Jahren, die er Pastor der episkopalen Kirche des Südsudans war, habe es keinen Gottesdienst gegeben, der ihn so anrührte.
Mawa ist einer von mittlerweile über eine Million Flüchtlingen, die im Norden Ugandas vor dem Krieg und dem Hunger in ihrem Land Zuflucht gefunden haben. Der Südsudan steht auf der Skala der hungernden Länder seit zwei Jahren ganz oben, und auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskatastrophe im Sommer 2016 kamen täglich 2000 Menschen über die Grenze. Die Anzahl der Hilfssuchenden stellt Uganda vor eine grosse Herausforderung. Die Flüchtlinge erhalten von der Regierung Land – 50 mal 50 Meter pro Familie –, haben Bewegungsfreiheit, Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und Schulen. Hintergrund dieser Grosszügigkeit sind der Wunsch, keine Flüchtlingslager entstehen zu lassen, in denen Verzweiflung und Kriminalität herrschen. Zum anderen profitiert die ugandische Regierung von internationalen Geldern, die zur Versorgung der Flüchtlinge bereitgestellt werden.
Unmut der Regierung
Dass dies nicht in dem Masse geschieht, wie erhofft, sorgt für Unmut bei der Regierung. Die zugesagten Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft sind bislang nur zu einem Viertel geflossen – und dieses Viertel ist nahezu verbraucht. Inzwischen gibt es Engpässe bei der Lebensmittelverteilung. Schon jetzt packen die ersten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen ihre Koffer, laufen Hilfsprogramme aus.
In dieser Situationsorgen die Flüchtlinge füreinander und versuchen, ihr künftiges Leben in die eigene Hand zu nehmen. Moses James Mawas Gemeinde besteht aus rund 260 Menschen, die aus verschiedenen Dörfern des südlichen Sudans flohen und sich sogleich zu einer Gemeinde zusammenfanden. «Die Menschen waren verzweifelt, die Sehnsucht nach Gottes Wort war gross», beschreibt Mawa die ersten Tage im neuen Land. Noch bevor die Flüchtlinge ihre eigenen Hütten errichtet hätten, seien sie zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten, ihr Pastor zu werden. «Dann haben sie gesagt: Pastor, wir brauchen eine Kirche. Ich habe geantwortet, wir haben kein Geld. Und sie haben gesagt, sie würden einen Teil der Lebensmittel, die sie erhielten, auf dem Markt verkaufen und davon Holz und Gras einkaufen.» So geschah es.
Ein Leben voller Arbeit
Was auf die Flüchtlinge nach ihrer Rettung wartet, ist ein Leben voller Arbeit und Entbehrungen. Wasser und Brunnen sind knapp, es gibt nur wenige Bäume für Feuerholz. Mawa weiss, dass vom Wort niemand satt wird, aber der Gottesdienst, sagt er, sei die einzige Zeit, in der die Menschen singen, tanzen, ausruhen können. «Wenn man fast gar nichts mehr hat, sind Frohsinn und Lachen ein hohes Gut.»
Rund 2000 Euro hat die Errichtung der Kirche gekostet. Die Hälfte der Summe stammt aus den Ersparnissen, die seine Gemeindemitglieder retten konnten – «im Bund der Unterhose oder eingenäht in den Saum der Röcke» –, die andere aus dem Verkauf der Lebensmittel, die sich die Mitglieder vom Mund absparten.
Wenn Mawa nicht predigt, besucht er jene Gemeindemitglieder, die sich nicht alleine helfen können: kranke Mütter oder alte Menschen. Zu seiner Gemeinde gehören auch zwölf Kinder, die auf der Flucht von ihren Eltern getrennt wurden oder Waisen sind. Sie alle haben Pflegefamilien gefunden. «Wir haben schon viele Kriege erlebt. Es ist unsere Tradition, dass wir Kinder aufnehmen, die keine Eltern mehr haben.»
Hoffnung auf hellere Tage
Mawa kam im April 2017 nach Uganda, als sein Dorf, wie so viele im Südsudan, zum Kampfgebiet zwischen Armee und Rebellen wurde. Die Bewohner waren so schnell wie möglich geflohen, hatten sich zwischen Büschen und Bäumen versteckt. Als die Kämpfe vorüber waren, gab es ihr Dorf nicht mehr. Schon damals dachte Mawa an Lot und sein Weib, wieihnen nur der Glaube an Gott blieb, nur die Hoffnung auf hellere Tage.
Nicht alle von Mawas Gemeindegliedern sprechen dieselbe Sprache. Deshalb predigt Mawa in seiner Heimatsprache Mbari, ein Mann aus der Gemeinde übersetzt ins Arabische. Nicht alle haben in ihrer Heimat der episkopalen Kirche angehört, manche sind katholisch, andere anglikanisch. Mawa sieht darin kein Problem. «Der Krieg hat uns gleich gemacht. Deshalb ist hier im Exil jeder unser Nächster, und wer immer mit uns betet, teilt unser Leid und unseren Glauben.»
Text: Andrea Jeska, Bilder: Klaus Petrus, kirchenbote-online, 15. Mai 2018
«Wir brauchen eine Kirche»