«Wieviel Glück braucht es, dass es uns gibt?»
Kathrin Altwegg, was denken Sie, wenn Sie in einen klaren Sternenhimmel blicken?
Ich geniesse die Schönheit des Himmels. Die Milchstrasse und die Planeten. Speziell auch den Mond, der der Erde in den letzten Wochen besonders nahe war. Es ist für mich manchmal wie eine Himmelsmeditation. Obwohl dort oben eigentlich ganz schön viel läuft …
Wird man religiös, wenn man sich mit dem Weltraum und der Unendlichkeit beschäftigt?
Nicht unbedingt religiös, aber man wird philosophisch. Es kommen Fragen auf wie: Wie ist das alles entstanden? Und: Gibt es noch mehr als das, was wir sehen?
Zur physikalischen Ordnung sagte Albert Einstein: «Gott würfelt nicht.» Was ist Ihre Auffassung dazu?
Albert Einstein sagte diesen Satz im Zusammenhang mit der Quantenmechanik. Diese besagt, dass der Zustand A und der Zustand B exakt gleich wahrscheinlich sind. Unabhängig von der Vorgeschichte. Konkret: Es ist wirklich ein Würfeln. Einstein lehnte das komplett ab. Er war der Auffassung, wenn man nur alles ausreichend beschreiben könnte und die Rahmenbedingungen kennen würde, dann wäre alles vorbestimmt. Mindestens bei der Quantenmechanik und wahrscheinlich auch bei der Entstehung der Erde und des Menschen hat Albert Einstein nicht recht gehabt.
Warum nicht?
Bis es einen Menschen gibt, müssen extrem viele Zufälle hineinspielen. Man kann nicht von vornherein sagen, ob dies oder jenes passiert. Einer meiner Vorträge heisst: «Wie viel Glück braucht es, dass es uns gibt?» Darin spreche ich unter anderem über das Klima, das bei uns in den letzten 500 Millionen Jahren erstaunlich stabil geblieben ist. Und da ist immer wieder (sagt sie mit ironischem Unterton) im richtigen Moment beispielsweise ein Kleinkörper auf die Erde geknallt und hat die Erde wieder abgekühlt. Solche Dinge sind nicht vorbestimmt. Noch mal: Es braucht Zufälle, damit wir überhaupt da sind.
Kathrin Altwegg
Kathrin Altwegg war bis 2016 Direktorin des Center for Space and Habitability an der Universität Bern. Die emeritierte Physikerin aus Balsthal SO erlangte Bekanntheit als Projektleiterin des Massenspektrometers Rosina, das an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta den Kometen Chury vermessen hatte.
Passt ein Gott in die Welt der Astrophysik?
Auf jeden Fall passt das! Die Uni Bern hat das Center of Space and Habitability gegründet, deren erste Direktorin ich war. Ein Auftrag war, dass wir interdisziplinär arbeiten. Deshalb haben wir auch mit Theologen zusammengearbeitet. Einer unter ihnen war als Post-Doc in der Physik angestellt. In den Diskussionen mit ihm erkannte ich: Wir Physiker versuchen bei der Entstehung des Lebens und des Universums das Wie zu verstehen. Theologen fragen nach dem Warum.
Kann man Gott beweisen?
Ich sage ja immer: Man kann Gott mit naturwissenschaftlicher Forschung nicht beweisen. Aber wir können ihn genauso wenig widerlegen. Ich kenne Astrophysiker, die religiös sind. Ich hatte jedenfalls noch nie Krach mit Theologen (lacht).
Gibt es eine Analogie zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte und der Urknalltheorie?
Wenn man annimmt, dass aus Energie Materie entsteht, dann gibt es durchaus eine gewisse Analogie. Gott ist nichts anderes als Energie. Aus ihm ist die Welt entstanden. Schon Einstein hat 1905 gesagt, dass es ohne Materie keine Zeit und keinen Raum gibt. Dasselbe hat der Kirchenfürst Augustinus von Hippo 500 Jahre nach Christus schon gesagt: «Gott schuf die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit.» Das heisst: ohne Welt keine Zeit. Eine Aussage 1400 Jahre vor Albert Einstein. Das finde ich immer noch bemerkenswert.
Andreas Losch, ein reformierter Theologe, mit dem ich eng zusammengearbeitet habe, sagte mir einmal: «Die Bibel ist eigentlich die erste naturwissenschaftliche Publikation.» So falsch ist das nicht, denn die Leute haben in der Bibel die Welt so beschrieben, wie sie sie sahen.
Würde es Sie überraschen, wenn man eines Tages Leben im All entdecken würde? Würde dies Ihren Glauben verändern?
Ich bin eigentlich fast sicher, dass man ausserirdisches Leben eines Tages entdecken wird. Das werden dann vermutlich Mikroben sein. Sie entstanden schon 800 Millionen Jahre nach der Entstehung der Erde aus den Ursubstanzen. Aber bis es komplexe Lebewesen wie uns Menschen gab, das dauerte dann doch enorm lange. Und dann braucht es wieder den Faktor Glück.
Könnten wir mit ausserirdischen Gesellschaften überhaupt kommunizieren?
Ich bin überzeugt: Es gibt mit etwas optimistischen Annahmen Tausende Zivilisationen in der Milchstrasse, die die Technologien haben, mit uns zu kommunizieren. Aber: Statistisch gesehen ist die nächste Gesellschaft, die das könnte, 1600 Lichtjahre weg. Wenn wir heute ein Signal dorthin schicken würden, käme die Antwort in 3200 Jahren bei uns an. So kann man nicht telefonieren (lacht). Nur schon die Voyager-Sonde hat 20´000 Jahre, bis sie am Rande unseres Sonnensystems ist. Noch mal: Es würde mich nicht überraschen, wenn man Mikroben finden würde. Was meine Lebenseinstellung verändern würde, wäre, wenn man irgendwann die Möglichkeit finden würde, zu zeigen, dass wir die einzigen hochentwickelten Lebewesen sind. Das würde mir Angst machen.
Warum?
Das würde uns wahnsinnig überheblich machen. Bei einem Kongress mit dem Titel «What is Life?» sagte mir ein Theologe: «Katholiken haben mit ausserirdischem Leben kein Problem. Sie haben ja die Engel.» Der Papst hat sogar eine astronomische Akademie in Castel Gandolfo.
Sie glauben also an die Einzigartigkeit unseres Planeten?
Es gibt wahrscheinlich im Universum nicht sehr viele Planten wie den unseren, wo mit so viel Glück so viele Parameter zusammengekommen sind. Dazu braucht es stabile Verhältnisse über viereinhalb Milliarden Jahre. Und das ist überhaupt nicht selbstverständlich.
Viele glauben daran, dass die Sterne einen Einfluss auf ihr Leben haben, und lesen Horoskope. Schwachsinn oder ein Hauch Wahrheit?
Physikalisch gesehen ist dies Unsinn.
Woher kommt Ihre Faszination für den Weltraum?
Ich habe Physik studiert, weil ich als Kind sehr viel in der Natur war. Vor allem in der Klusschlucht in Balsthal, wo unser Elternhaus stand. Ich mag mich zudem erinnern, wie ich 1957 mit meinen Eltern in der Nacht auf einen Berg stieg, um den sowjetischen Satelliten Sputnik zu sehen. Die USA hatten wenig Freude daran. Das Wettrüsten im Weltraum ist leider nicht vorbei. Heute heisst es: USA gegen China.
Warum wird Milliarden in die Weltraumforschung gesteckt, wenn man das Geld vielleicht besser brauchen könnte, um die Probleme auf der Welt zu lösen?
Projekte wie die Starlink-Satelliten von Milliardär Elon Musk haben rein kommerziellen Nutzen. Ich finde das ethisch sehr fragwürdig. Andererseits geben wir auch für Kultur sehr viel Geld aus, was keinen direkten Nutzen bringt. Aber: Was wäre die Welt beispielsweise ohne Musik?
Grundlagenforschung ist auch eine Form von Kultur. Die Menschheit wäre an einem ganz anderen Punkt, wenn wir nicht schon immer Grundlagenforschung gemacht hätten. Unsere Neugier zu befriedigen, das gehört zur menschlichen Kultur.
Sie waren lange Zeit die einzige Frau, die damals an der Uni Basel Physik studierte. Warum sind die Frauen in den Naturwissenschaften noch immer in Unterzahl?
Es ist ein kulturelles Problem. Ich habe es selbst erlebt: Meine Mutter und mein Vater führten zusammen eine Arztpraxis und waren aufgeschlossen. Sie waren stolz, als ich ihnen sagte, dass ich Physik studieren wolle. Aber auch bei ihnen war das Rollenbild zementiert.
Man sagt den Mädchen, dass sie alles können, aber man lebt es ihnen nicht vor. Vor allem in westeuropäischen Ländern. Italien zeigt, dass es auch anders geht: In diesem Land gibt es viele Naturwissenschafterinnen. Dort konnten Frauen schon im 15. Jahrhundert an Universitäten studieren.
Eigentlich ist unser Planet ein winziger Erdklumpen mit etwas Atmosphäre, der durch den lebensfeindlichen Raum segelt. Ist es nicht ein Wunder, dass wir existieren?
Ja, es ist ein Wunder. Wir hatten viel Glück. In dem Sinn hat Gott doch gewürfelt. Und zwar im Fall der Erde zwei Sechsen.
«Wieviel Glück braucht es, dass es uns gibt?»