«Wenn’s Fasnacht wird»
Die Schweiz kennt zwei Gräben, den Rösti- und den Fasnachtsgraben. Während Welsche und Deutschschweizer bei Abstimmungen kaum aufeinander zugehen, hat sich dies an der Fasnacht geändert. Heute feiern vielerorts sowohl Reformierte als auch Katholiken die Fasnacht, auch im Gottesdienst.
Das war nicht immer so: Jahrhundertelang gab es das närrische Treiben in der Schweiz, abgesehen von Basel-Stadt, vor allem in den katholischen Gebieten, etwa in Luzern und Schwyz. Die Fasnacht war der Auftakt vor der kommenden Fastenzeit: Mit Trommeln, Dröhnen und Guggenmusik wollten die Gläubigen das volle Leben geniessen, bevor sie bis Ostern den Gürtel enger schnallen mussten.
Fasnacht setzte sich trotz Strafen durch
Mit der Einführung der Reformation schafften die Reformierten das Fasten ab. Und Huldrych Zwingli verbot per Sittenmandat das Narrentreiben. Gleiches geschah in der Stadt Bern. Der neue Christenmensch sollte sittsam und tugendhaft sein, Tanz, Musik und Trinken hatten keinen Platz. In Basel wurde die Fasnacht zum Fanal der Reformation. Am 8. Februar 1529 kam es zu Unruhen, der Bildersturm fegte am Aschermittwoch durch die Rheinstadt und zerstörte Heiligenfiguren und Altarbilder. Die Zünfte zwangen den Rat, den neuen Glauben einzuführen. Mit Verordnungen und Verboten versuchte die Obrigkeit, das ausschweifende Karnevalstreiben in den Griff zu bekommen. Als 1532 ein Dutzend Männer mit einem Pfeifer auf dem Marktplatz und in den Gassen tanzten, wurden sie mit je 5 Pfund Strafe belegt, im Wiederholungsfall drohte ihnen die Enthauptung.
Doch alle Sittenstrenge nützte am Rhein nichts. Volk und Zünfte liessen sich nicht einschüchtern. Hinzu kam, dass die Basler Fasnacht im Schutz der Aushebung der wehrpflichtigen Männer stattfand. Um den Aschermittwoch herum hielten die Zünfte ihre militärischen Aufmärsche mit Trommeln und Pfeifen ab. Bis heute beherrschen die Märsche an der Fasnacht die Basler Gassen, die Ohrwürmer bringt man kaum aus den Hirnwindungen.
Keine Anbiederung an den Zeitgeist
Doch zurück zu den Fasnachtsgottesdiensten: In den letzten dreissig Jahren haben sie zugenommen, in katholischen wie in reformierten Kirchen. Und das nicht als Anbiederung an den Zeitgeist, wie ein Besuch in der Offenen Kirche Elisabethen in Basel zeigt.
Am Tag vor dem Morgenstreich findet dort traditionell der Fasnachtsgottesdienst statt. Bereits eine Stunde vor Beginn sind die meisten der 400 Plätze besetzt. Unter der Leitung von Thierry Moosbrugger üben die Besucherinnen und Besucher eifrig das Lied «Wenn’s Fasnacht wird» zur Melodie des Wettsteinmarsches. Vielen wird dabei warm ums Herz.
Was folgt, ist eine Mischung aus Fasnachtsmärschen, gespielt von den Gälldukennschminit-Pfyfferinnen und -Tambouren, und der Präsentation beliebter Figuren wie dem Bajass mit seinen Filzplätzli, Ueli mit den Eselsohren oder dem Grällelikranz durch -minu, der goldenen Feder am Rhein.
Fasnachtsfiguren und die Bergpredigt
Die Seelsorgerin Anne Burgmer vergleicht die Figuren mit dem Leben: Viele Charakteren kenne man von sich selbst, manche schaue man sich gerne an, andere verdränge man oder kämpfe mit ihnen. «Doch so wie Frau Fasnacht alle ihre Figuren liebt, so ist es unsere Lebensaufgabe, uns mit uns selbst zu versöhnen. Denn wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben», zitiert Burgmer die Botschaft der Bergpredigt.
Dann folgen die Schnitzebängg: «Dr Heiri» zu Technobeat und «Spootschicht Rhygass» aus dem Kleinbasel. Witzig und gnadenlos nehmen die Verse die Politik aufs Korn (Trump «Sauhund», Biden «senil») und fotzeln, dass Millionen Zürcherinnen und Zürcher überzeugt seien, ohne sie gehe es in der Schweiz nicht. Und jetzt hätten sie nicht einmal einen Bundesrat. Das Publikum applaudiert frenetisch.
Und als sie zuletzt lauthals und inbrünstig «Wenn’s Fasnacht wird, isch z Basel gly die halbe Stadt verruggt» anstimmen, dann versteht auch der Zürcher, warum Gott nach sechs Tagen zufrieden auf seine Schöpfung blickte.
«Wenn’s Fasnacht wird»