Vulkanausbruch auf La Palma: Eine Familie verliert ihre Existenz
Sheena Sadrieh wird die schrecklichen Bilder nie vergessen: wie ein tausend Grad heisser Lavastrom ihre Heimat zerstörte. «Feuerwehrmänner haben Liveaufnahmen davon auf Facebook gestellt. Wir konnten mitverfolgen, wie die Lava unsere Häuser überflutet hat. Das hat weh getan», sagt die junge Frau. Auch an den Moment des Vulkanausbruchs erinnert sie sich genau: «An diesem Morgen sass ich mit meiner Mutter auf der Terrasse, und mein Sohn hat in der Sonne gespielt. Momente später hing eine riesige Rauchwolke über uns, es hörte sich an, als würde Wasser in einem grossen Topf brodeln.»
Alle Habe in sechs Koffern
Dann überstürzten sich die Ereignisse: «Die Nachbarn schrien: Packt eure Sachen und fahrt los! Wir konnten nicht einzuschätzen, wie nah oder fern der Vulkanausbruch war, also warfen wir ein paar Dinge ins Auto. Sirenen heulten auf, und wir flüchteten von unserem Grundstück. Drei Stunden später war das ganze Gebiet evakuiert.» Die Familie fand Unterschlupf im Haus einer Freundin im Norden der Insel. «Wir durften in Begleitung der Feuerwehr später noch für eine Viertelstunde zurück in die Häuser, um das Wichtigste herauszuholen. Ich hatte mir eine Liste mit Dingen zusammengestellt, in der Aufregung hab ich dann die Hälfte vergessen.» Am Ende fanden alle Habseligkeiten, die der Familie noch gehörten, in sechs Koffern Platz. Die 26-Jährige denkt mit Wehmut an ihr Elternhaus zurück: «Es ist nicht nur der materielle Verlust, der schmerzt. Wir haben mit den Häusern unser Vermögen verloren, das meine Zukunft hätte sichern sollen. Aber in erster Linie vermisse ich den Ort, an dem ich aufgewachsen bin, mit allem, was mir dort vertraut und lieb war.»
Sheena Sadrieh kam auf La Palma als Tochter einer Schweizer Mutter und eines vietnamesischen Vaters zur Welt. Ihre Eltern besassen drei Häuser im Westen von La Palma: «Es war schön, hier aufzuwachsen, ich habe nie daran gedacht, woanders zu leben. Inzwischen hätte ich meine erste Stelle als Fachfrau Gesundheit antreten können.»
Flucht von der Insel
Der Vulkanausbruch hat auch die wertvollen Bananenplantagen, von denen die Bevölkerung hauptsächlich gelebt hat, zerstört. «Die Schere zwischen arm und reich wird jetzt noch grösser. Mittlerweile sind die Mieten so teuer, dass wir uns keine Wohnung leisten könnten.» Der einzige Ausweg für die Familie war, die Insel zu verlassen und anderswo neu anzufangen. Über eine Google-Suche stiessen sie schliesslich auf den Verband der reformierten Stadtkirchen in Schaffhausen. «Meine Mutter hatte von früher gute Erinnerungen an diese Stadt. Also beschlossen wir, die dortige Sozialdiakonin anzurufen, um Rat einzuholen, denn unsere Flüge nach Zürich waren bereits gebucht.» Dann ging alles schnell: «Die Sozialdiakonin ermöglichte uns ein Familienzimmer in einer Unterkunft in der Stadt und organisierte unseren Transfer vom Flughaften. Wir waren so erleichtert, erstmal ein Dach über dem Kopf zu haben!»
Doch der Weg in eine neue Existenz ist nicht leicht. «Alles war eine Herausforderung: warmes Essen aus der Gassenküche, die vielen Behördengänge. Ohne die Unterstützung durch die Kirche wäre das nicht möglich gewesen.» Inzwischen konnte die junge Mutter in ein neues Zuhause einziehen, auch ihre Mutter hat eine Wohnung ganz in der Nähe gefunden. «Es tut gut, wieder ein normales Leben in eigenen vier Wänden zu führen. Sie ist froh, dass der Sohn wieder zur Schule gehen kann.» Die Pflegefachfrau hofft, bald eine Arbeitsstelle zu finden.
Adriana Di Cesare, kirchenbote-online
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