Von Maradona und Ordensfrauen
Das 72. Festival del Film Locarno ist am Samstag mit der Preisverleihung auf der Piazza zu Ende gegangen. Gewinner des diesjährigen Goldenen Leoparden ist «Vitalina Varela» des Regisseurs Pedro Costa. Der portugiesische Film erzählt von einer Frau, die nach Lissabon zurückkehrt, um ihren verstorbenen Mann zu betrauern. Lobende Erwähnung erhielt der Siegerstreifen auch von der Ökumenischen Jury. Er öffne das «Bewusstsein der Zuschauer für transzendente Dimensionen des Lebens».
Geschichte über die Mutterliebe
Der Preis der Ökumenischen Jury ging dieses Jahr an die italienisch-argentinische Produktion «Maternal». Der Film der Regisseurin Maura Delpero erzählt die Geschichte einer jungen Nonne, die in ein Kloster eintritt. Die Ordensfrauen kümmern sich um Teenagermütter und ihre Kinder. Delpero erzähle «eine intensive Geschichte von Frauen und ihren Erfahrungen mit Sexualität, Schwangerschaft, Liebe sowie Kindererziehung», schreibt die Jury in ihrer Laudatio. «Die Regisseurin wirft einen tiefen, liebevollen Blick in einen konfliktreichen Mikrokosmos, in dem verschiedene soziale, politische und spirituellen Aspekte zum Vorschein kommen.»
Dieser «liebevolle Blick» hat den Jury-Präsidenten Thomas Kroll besonders angesprochen. Es sei der gleiche Blick, mit dem Wim Wenders seine Geschichten erzählt. In «Maternal» entdeckte Kroll diese besondere Perspektive in verschiedenen Szenen. Etwa als eine alte Nonne den Kleinen in der Religionsstunde von der Heiligen Familie erzählt und mit ihnen dann den Mittagsschlaf hält. Oder wenn einer der Jungen später zu seiner Mutter, die gerade ein Kind geboren hat, ins Bett schlüpft und sagt, jetzt seien sie drei auch eine Heilige Familie.
Maradona und die Heiligenverehrung
«Maternal» gehörte auch zu den Favoriten von Charles Martig. «Es ist ein eindrücklicher Film über die Mutterliebe.» Auch andere Filme, die in Locarno liefen, hätten Religiöse und spirituelle Aspekte aufgegriffen, stellt der Filmexperte und Direktor des Katholischen Medienzentrums fest. «Das zeigt, wie wichtig das Thema für das moderne Filmschaffen ist.» Auf der Piazza Grande etwa lief der Film «Diego Maradona» über den Aufstieg des argentinischen Superstars in Neapel. Der Film arbeitet stark mit religiösen Symbolen. Der Fussballer wird vor dem Hintergrund der Heiligenverehrung zur Erlöserfigur.
Zwei andere Filme, in denen das Religiöse eine Rolle spielt, kommen aus Frankreich und der Schweiz. «Camille» erzählt die Geschichte der französischen Fotografin Camille Lepage, die in der Zentralafrikanischen Republik arbeitete und den Menschen im Kriegsgebiet begegnete. Sie starb 2014 während eines Einsatzes. Der Spielfilm, der das soziale Engagement der jungen Fotografin eindrücklich zeigt, gewann den Publikumspreis des Filmfestivals und kommt bald in die Schweizer Kinos.
Suche nach religiöser Identität
«Shalom Allah» von David Vogel geht der Frage nach, warum Schweizer und Schweizerinnen zum Islam konvertieren. Der Dokumentarfilm porträtiert einen jungen Mann, eine Studentin und ein Paar auf der Suche nach ihrer Identität. Das Besondere an «Shalom Allah» sei, so Martig, wie der Regisseur seine eigene religiöse jüdische Biografie in den Film einbringt und das Jüdische und Muslimische zusammenbringt. Der Film zeige, wie stark der Islam mit seinen Ritualen und Strukturen den Suchenden Heimat und Orientierung gibt, sagt Charles Martig. «Das war einer der stärksten Filme am Festival.»
Die Begegnung zwischen Film und Religion fand in Locarno nicht nur auf der Leinwand statt, sondern auch bei den Pressekonferenzen, am ökumenischen Gottesdienst mit der Predigt von Pfarrerin Brigitte Affolter und beim Ökumenischen Empfang. Zu letzterem Anlass kamen etliche Kirchenleute und Filmschaffende, darunter der Zürcher Regisseur Samir und der Dokumentarfilmer David Vogel. Samir berichtete über seinen Film «Baghdad in my Shadow». Das Interesse der Filmschaffenden am Austausch mit den Kirchen sei ungebrochen, stellt Charles Martig fest.
Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 19. August 2019
Von Maradona und Ordensfrauen