News von der Glarner reformierten Landeskirche

Von der grossen Freiheit des Alters

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07.05.2018
Julia Onken sprach in der Pauluskirche Olten über die Kunst des langen Lebens. Für die Psychologin birgt das Alter einen inneren Schatz, den manche übersehen.

Frau Onken, aus was besteht die Kunst des langen Lebens?
Zu lernen, dass das Leben ein Prozess ist, in dem alles seine Zeit hat.

Was zeichnet das Alter aus?
Älter werden bedeutet, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, in der die Lebenszeit ein Ende findet und in der man trotzdem andere Ebenen erlebt.

Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Die meisten Menschen stehen am Morgen auf, ziehen sich an, freuen sich des Lebens und schauen in den Spiegel. Gerade wir älteren Frauen sind dann irritiert über das, was wir sehen. Wir fühlen uns innerlich jünger als das Gesicht, das uns entgegenblickt.

Das ist ein Schock.
Natürlich. Unser inneres, jugendliches Gefühl stimmt nicht mit dem äusseren Bild überein. Das Missverhältnis führt uns zum grundsätzlichen Thema des Alterns und des Lebens. Meine Antwort heisst: Es gibt zwei Wirklichkeiten. Die eine ist der Körper, auf dem sich die Spuren des Alltags und der Zeit niederschlagen und der der Vergänglichkeit unterworfen ist. Die andere ist die innere Wirklichkeit, die ewig, unveränderlich und immer jung bleibt. Sie ist nicht dem Tod unterworfen, sondern besteht weiter. Wenn man das begriffen hat, dann bekommt das Älterwerden eine andere Dimension.

Glauben Sie, das hilft, mit dem Älterwerden umzugehen?
Selbstverständlich. Es ist ein Befreiungsschlag und macht klar, dass etwas in uns unverwüstlich und ewig ist.

Sie haben die Altersgrenze von 70 überschritten und vieles erlebt. Was erwarten Sie noch vom Leben?
Sehr viel. Ich bin auf dem Zenit meiner geistigen Kapazität. Vieles, was mich in jungen Jahren beschäftigte, fällt nun weg. Ich muss niemandem gefallen, ich muss niemandem nach dem Mund reden und bin unabhängig. Ich kann authentisch und wahrhaftig zu meinen Ideen stehen und meine Projekte entwickeln. Das ist ein paradiesisches Gefühl.

Sie sind völlig befreit?
Ja!

Viele ältere Menschen hingegen empfinden den Alltag als Last.
Sie haben nicht begriffen, dass sie in sich eine wunderbare Quelle von Möglichkeiten besitzen. Sie tragen ein ganzes Universum in sich – aber sie müssten sich auf sich selbst besinnen. Dazu gehört, dass man lernt aufzuräumen.

Was meinen Sie konkret?
Seine Beziehungen bereinigt, Ballast abwirft, Unerledigtes beendet und die Lektionen, die einem das Leben aufgibt, erledigt.

Oftmals ist man gesundheitlich angeschlagen. Ist da die negative Brille nicht berechtigt?
Natürlich, nur bringt sie einen nicht weiter. Wir alle haben Schwierigkeiten mit der Mechanik. Das Knie knackt, die Hüfte will nicht mehr. Hinzu kommt, dass wir im Alter nicht mehr so gut sehen und hören. Da sollte man sich Hilfe holen.

Sie können auf ein reiches Leben zurückblicken. Welchen Ratschlag haben Sie für die Jungen?
Lernt, selber zu denken und euchtreu zu bleiben.

Macht man zu viele Kompromisse?
Ja. Man glaubt, man müsste sich anpassen, nur dann werde man geliebt. Wir alle sind von der Schöpfung geliebt. Es braucht uns nicht zu kümmern, ob wir den anderen gefallen.

Das zu verstehen, ist schwierig.
Menschen, die religiös sind, haben eher das Gefühl, geliebt zu werden. Doch bei vielen ist diese Basis nicht mehr vorhanden und sie müssen dies wieder lernen, gerade im Alter.

Wie gelingt das Ihnen?
Wenn ich einen schönen Sonnenuntergang sehe oder jetzt die blühenden Bäume, dann steigt in mir ein tiefes Gefühl auf. Es besagt, dass du das noch erleben darfst, zeigt dir, wie dich die Schöpfung liebt.

Das ist ein grosses Geschenk.
Ja. Als junger Mensch wäre das für mich nicht möglich gewesen. Da war ich mit ganz anderen Themen beschäftigt.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 7. April 2018

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