Und sie hatten alles gemeinsam
In der Apostelgeschichte wird uns unmittelbar nach dem Bericht über das Pfingstwunder die erste christliche Gemeinde beschrieben. Was vielen Lesenden dabei sofort auffällt, ist die innige und solidarische Gemeinschaft, die dort beschrieben wird: «Alle Glaubenden aber hielten zusammen und hatten alles gemeinsam; Güter und Besitz verkauften sie und gaben von dem Erlös jedem so viel, wie er nötig hatte.» Friedrich Engels, der Mitbegründer des Kommunismus, sah hier die Forderungen des Kommunismus verwirklicht, nämlich die Abschaffung des Privateigentums. Es ist nicht erstaunlich, dass man auf eine solche Auslegung dieser Bibelstelle kommt, ist doch der Text sehr zugespitzt. Lesen wir sie jedoch im Kontext der restlichen Kapitel der Apostelgeschichte und der Bibel als Ganzes, dann wird schnell klar, dass hier keine Rede von der Abschaffung des Privateigentums sein kann. Niemand wurde gezwungen, etwas zu geben. Aber es war offensichtlich eine innige, grosszügige solidarische Gemeinschaft. Die Gemeindemitglieder gaben freiwillig und gerne. Niemand musste Not leiden.
Diese Beschreibung war massgebend für die weitere Entwicklung und Ausbreitung der Kirche. Die Gemeinschaft der Christen war etwas Neuartiges in der römisch-antiken Kultur. Im römischen Reich gab es klare Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten. Hilfe in Notsituationen erfuhr man fast ausschliesslich in der eigenen Familie. Hatte man keine, war man auf sich allein gestellt. Der Staat kannte noch keine sozialen Einrichtungen.
Ganz anders war da die Gemeinschaft der Christen. Hier versammelten sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Die Herkunft spielte keine Rolle. Was die Christen verband, war ihr gemeinsamer Glaube an Jesus Christus. Solidarität wurde über Familien- und Standesgrenzen hinweg gelehrt und gelebt.
Es ist nicht erstaunlich, dass nur schon die Art der Gemeinschaft selbst das Interesse der Menschen ausserhalb der Kirche weckte und die Christen trotz vieler falscher Anschuldigungen immer mehr an Ansehen gewannen. Obwohl Christen durch die staatliche Macht oft benachteiligt wurden und es lokal auch immer wieder grössere Verfolgungswellen gab, bei denen viele Christen ihr Leben liessen, wuchs die Kirche stetig und stark. Die Kirche war attraktiv. Sie bot den Menschen einen Glauben und eine Gemeinschaft, welche die Menschen im römischen Reich so nicht kannten.
Ich hoffe, dass auch unsere Kirche wieder zu einer Gemeinschaft wird, die attraktiv und anziehend wirkt, weil sie den Menschen etwas bietet, das sie so in der Welt nicht finden. Dass bald wieder eine Zeit kommen wird, in welcher die Menschen auf solidarische Gemeinschaften angewiesen sein werden, weil der Staat mit den sozialen Problemen überfordert sein wird, halte ich für sehr wahrscheinlich. Aber die Kirche hat noch mehr zu bieten. Sie hat eine einzigartige Botschaft, welche die Herzen der Menschen grundlegend zu verändern vermag. Letztlich war es der Glaube an Jesus Christus, der den Christen in der frühen Kirche den Mut, die Kraft und die Liebe gab, diese solidarische Gemeinschaft trotz aller Widerwärtigkeiten fröhlich zu leben.
Und sie hatten alles gemeinsam