News von der Glarner reformierten Landeskirche

Theater in der Kirche

von Swantje Kammerecker
min
22.04.2025
Vom 16.- 24. Mai spielt das Theater Bruderboot mit einheimischen Mitwirkenden in Betschwanden das interaktive Stück „Iisziit – Glarnerseel und Tödufirn“. Einer der Spielorte des Stationen-Theaters ist die Kirche Betschwanden. Das Stück berührt auch existentielle Fragen zu Schöpfung und Glauben.

Die Dorfgemeinschaft versammelt sich in der Kirche, im Taufbecken schmilzt ein Eisblock. Stille. CelloklĂ€nge, irgendwo aus der Höhe. Dann steigt der helle Gesang einer MĂ€dchenstimme, die flehende Arie „Qui sedes“ aus Bach berĂŒhmter h-moll-Messe steigt empor. Was geschieht mit uns Menschen, wenn sich die Landschaft weiter so schnell verĂ€ndert? Wie reagieren wir auf Bedrohungen, mit Angst, Flucht, oder Totstellen? Damit haben sich die Akteure der aktuellen Produktion „Iisziit – Glarnerseel und Tödifirn“ unter Leitung von Beni und Christian Hunziker von der Compagnie Bruderboot auseinandergesetzt. 18 einheimische Mitwirkende stehen auf der BĂŒhne, erleben mit dem Publikum den Weg vom Zirkus Mugg zum Bahnhof, zur Halle einer ehemaligen Textilfabrik, in die Kirche Betschwanden und wieder zurĂŒck zum Zirkus. Sie schauspielern, singen, tanzen, muszieren. Weitere tragen hinter den Kulissen zum Gelingen bei. Nebst Technikern, Maskenbildnerin, Gesangs- und Tanzcoach gehört dazu auch Jann Duri Bantli. Er  forscht als Kultur- und Literaturwissenschaftler im Auftrag des Urner Instituts der Kulturen der Alpen an der UniversitĂ€t Luzern und des Instituts fĂŒr Kulturforschung GraubĂŒnden zu den Auswirkungen des Gletscherschwunds auf den Menschen, mit dem Tödifirn als einem Schwerpunkt,  berĂ€t und bereichert mit dem gefundenen Material die Theaterproduktion.

Trauer ĂŒber Gletscherschwund

Auf die Frage wie Seele und Landschaft zusammenwirken, erwĂ€hnt Bantli die „Solastalgie, ein GefĂŒhl der Trauer ĂŒber die rasante, oft zerstörerische VerĂ€nderung des eigenen Lebensraums. Bei Gletschern kommt es etwa zu Trauerritualen wie einer Gletscherbeerdigung am ehemaligen Pizolgletscher. Andere reagieren mit Musik, wie George Steinmann in seinem ‚Blues for the Glaciers‘. Oder geben, wie die Menschen hier im Kanton Glarus, durch ein Theater ihren vielleicht auch unbewussten Emotionen Ausdruck.“ Welchen Wert man einem Gletscher beimesse, hĂ€nge natĂŒrlich von der Perspektive ab. „NĂŒchtern betrachtet, gilt er als Rohstoff-speicher in der Form von Wasser fĂŒr den menschlichen Konsum, fĂŒr die Landwirtschaft, die Produktion von ElektrizitĂ€t, und natĂŒrlich als Ziel bergsteigerischer Ambitionen. Wir sehen in ihm aber primĂ€r auch etwas Schönes, Erhabenes. Interessant ist, wie die Gletscher bereits in der vormodernen Zeit auf die menschliche Lebenswelt einwirkten: Dies zeigt etwa die Legende von den bĂŒssenden Seelen, die, wie Tim Krohn in seinem Roman Quatemberkinder schreibt, am Tödifirn versinken – unerlöst, solang ein ‚StĂŒckli von ihnen aus dem Eis gĂŒgsle‘“, so Bantli.

FĂŒr Theatermacher Beni Hunziker ist die enge Verbindung zwischen Seele und Landschaft ebenfalls faszinierend, und zwar auf sehr persönliche Art: „Als Talbewohner ist es mir wichtig – gerade auch fĂŒr meine Arbeit – mindestens einmal in der Woche ‚obsi‘ zu gehen und von meinem HĂŒttli ob Luchsingen ins Tal zu schauen. Empfinden AuswĂ€rtige unsere steilen Berge oft als bedrĂ€ngend, fĂŒhlen wir Einheimische hier Geborgenheit, weil wir wissen, es geht oben weiter.“ Den Wert eines Gletschers bezeichnet Hunziker als unermesslich: „Wir sind da in eine ĂŒberwĂ€ltigende Schöpfung hineingestellt.“ Der  Blick hinauf in die Berge bedeute fĂŒr ihn auch eine Hinwendung zum Höchsten, dem AllmĂ€chtigen.

Geistliche am Berge

Da Berge teils bis heute als göttliche Schöpfung oder Sitz des Göttlichen angesehen werden, hatte ihre bergsteigerische Erschliessung oft auch eine geistliche Dimension. Nicht selten waren es Pfarrpersonen, die solche Expeditionen mitmachen – wie der BĂŒndner Pater Placidus a Spescha, welcher zwar nicht bis ganz oben auf den Tödigipfel Piz Russein gelangte, aber dessen Erstbesteigung durch zwei BĂŒndner GemsjĂ€ger im Jahr 1824 bezeugte – und das Wort eines Geistlichen galt. Wie fĂŒhlen sich heutige Tödi-GipfelstĂŒrmer? Auch davon erzĂ€hlt das StĂŒck „Iisziit“, bei dem mehrere Generationen miteinander ins GesprĂ€ch kommen. Zur Mitwirkung ist ĂŒbrigens auch das Publikum eingeladen, etwa in der Schluss-Szene oder indem es in einer Szene wie im „Landsgemeinde-Ring“ bestimmt, welche Stimmen gehört werden. Zuviel verraten will Beni Hunziker noch nicht, doch auf Überraschungen darf man sich gefasst machen. Denn wenn der Strahler, gespielt von Hanspeter Zweifel, seine Schatzkatze öffnet, gibt es immer wieder Erstaunliches zu entdecken. Etwa ein altes Buch mit VolkerzĂ€hlungen aus dem Wallis, wo berichtet wird, wie einst Geistliche einen Gletscher bannten, um ihn von den HĂ€usern und GĂ€rten der Menschen fernzuhalten. Zitat: „FrĂŒher konnten einige noch genau die Stelle zeigen, bis wohin sie ihn zu bannen vermocht hatten. Weiter hinauf brachten sie ihn nicht, weil er voller armer Seelen war, welche dort im Eis bĂŒssen mussten.“ Vor bald 15 Jahren dagegen gab Papst Benedikt XVI. die Erlaubnis, fĂŒr das Weiterbestehen des Aletschgletschers zu beten: „Neu gilt die jĂ€hrliche Prozession auch dem Gebet gegen das weitere Wegschmelzen.“

Heuer wirkt beim Theater „Iisziit“ mit Manja Pietzcker auch die reformierte Pfarrerin der Gemeinde Grosstal mit. Vor bald drei Jahren von Dresden nach Betschwanden ĂŒbergesiedelt, hat sie ihre neue Heimat bereits ins Herz geschlossen. Und fĂŒr ihren Einsatz im StĂŒck sogar Jodelunterricht genommen: „Wenn Laura als Bergbauerntochter, die gut jodeln kann, eine Solo-Arie aus der h-moll-Messe lernen kann, dann mĂŒsste ich auch das Jodeln lernen können.“ Und wer weiss, vielleicht wird sie ja auch einmal noch den Tödi, dessen erhabenen Anblick sie aus dem Pfarrhaus noch immer tĂ€glich bewundert, ganz aus der NĂ€he sehen? In „Iisziit“ wird sie im Talar auftreten: „Ich kann und will in meiner Kirche nur ich selber sein, als Person, aber eben auch als Pfarrerin. FĂŒr mich geht es bei der Frage nach unserem Umgang mit den Bergen, TĂ€lern, Gletschern und FlĂŒssen auch um unser VerhĂ€ltnis zur Schöpfung, diesem Wunderwerk, das uns umgibt und das in letzter Konsequenz fĂŒr uns immer unverfĂŒgbar bleiben wird. Ob man mit Bittgebeten fĂŒr das Schmelzen oder Wachsen eines Gletschers sorgen kann, wage ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist diese Herangehensweise etwas zu schlicht fĂŒr die KomplexitĂ€t, die all dem zugrunde liegt. Wir sind eingebunden in ein grosses Ganzes, und da gehört die SpiritualitĂ€t mit dazu. DafĂŒr stehe ich in diesem StĂŒck.“

TheaterauffĂŒhrungen „Iisziit – Glarnerseel und Tödifirn“ am 16., 17., 22. Bis 24. Mai, jeweils 20 Uhr, Infos und Tickets unter www.kulturgesellschaft-glarus.ch

Text und Bilder: Swantje Kammerecker

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