Theater in der Kirche
Die Dorfgemeinschaft versammelt sich in der Kirche, im Taufbecken schmilzt ein Eisblock. Stille. CelloklĂ€nge, irgendwo aus der Höhe. Dann steigt der helle Gesang einer MĂ€dchenstimme, die flehende Arie âQui sedesâ aus Bach berĂŒhmter h-moll-Messe steigt empor. Was geschieht mit uns Menschen, wenn sich die Landschaft weiter so schnell verĂ€ndert? Wie reagieren wir auf Bedrohungen, mit Angst, Flucht, oder Totstellen? Damit haben sich die Akteure der aktuellen Produktion âIisziit â Glarnerseel und Tödifirnâ unter Leitung von Beni und Christian Hunziker von der Compagnie Bruderboot auseinandergesetzt. 18 einheimische Mitwirkende stehen auf der BĂŒhne, erleben mit dem Publikum den Weg vom Zirkus Mugg zum Bahnhof, zur Halle einer ehemaligen Textilfabrik, in die Kirche Betschwanden und wieder zurĂŒck zum Zirkus. Sie schauspielern, singen, tanzen, muszieren. Weitere tragen hinter den Kulissen zum Gelingen bei. Nebst Technikern, Maskenbildnerin, Gesangs- und Tanzcoach gehört dazu auch Jann Duri Bantli. Er forscht als Kultur- und Literaturwissenschaftler im Auftrag des Urner Instituts der Kulturen der Alpen an der UniversitĂ€t Luzern und des Instituts fĂŒr Kulturforschung GraubĂŒnden zu den Auswirkungen des Gletscherschwunds auf den Menschen, mit dem Tödifirn als einem Schwerpunkt, berĂ€t und bereichert mit dem gefundenen Material die Theaterproduktion.
Trauer ĂŒber Gletscherschwund
Auf die Frage wie Seele und Landschaft zusammenwirken, erwĂ€hnt Bantli die âSolastalgie, ein GefĂŒhl der Trauer ĂŒber die rasante, oft zerstörerische VerĂ€nderung des eigenen Lebensraums. Bei Gletschern kommt es etwa zu Trauerritualen wie einer Gletscherbeerdigung am ehemaligen Pizolgletscher. Andere reagieren mit Musik, wie George Steinmann in seinem âBlues for the Glaciersâ. Oder geben, wie die Menschen hier im Kanton Glarus, durch ein Theater ihren vielleicht auch unbewussten Emotionen Ausdruck.â Welchen Wert man einem Gletscher beimesse, hĂ€nge natĂŒrlich von der Perspektive ab. âNĂŒchtern betrachtet, gilt er als Rohstoff-speicher in der Form von Wasser fĂŒr den menschlichen Konsum, fĂŒr die Landwirtschaft, die Produktion von ElektrizitĂ€t, und natĂŒrlich als Ziel bergsteigerischer Ambitionen. Wir sehen in ihm aber primĂ€r auch etwas Schönes, Erhabenes. Interessant ist, wie die Gletscher bereits in der vormodernen Zeit auf die menschliche Lebenswelt einwirkten: Dies zeigt etwa die Legende von den bĂŒssenden Seelen, die, wie Tim Krohn in seinem Roman Quatemberkinder schreibt, am Tödifirn versinken â unerlöst, solang ein âStĂŒckli von ihnen aus dem Eis gĂŒgsleââ, so Bantli.
FĂŒr Theatermacher Beni Hunziker ist die enge Verbindung zwischen Seele und Landschaft ebenfalls faszinierend, und zwar auf sehr persönliche Art: âAls Talbewohner ist es mir wichtig â gerade auch fĂŒr meine Arbeit â mindestens einmal in der Woche âobsiâ zu gehen und von meinem HĂŒttli ob Luchsingen ins Tal zu schauen. Empfinden AuswĂ€rtige unsere steilen Berge oft als bedrĂ€ngend, fĂŒhlen wir Einheimische hier Geborgenheit, weil wir wissen, es geht oben weiter.â Den Wert eines Gletschers bezeichnet Hunziker als unermesslich: âWir sind da in eine ĂŒberwĂ€ltigende Schöpfung hineingestellt.â Der Blick hinauf in die Berge bedeute fĂŒr ihn auch eine Hinwendung zum Höchsten, dem AllmĂ€chtigen.
Geistliche am Berge
Da Berge teils bis heute als göttliche Schöpfung oder Sitz des Göttlichen angesehen werden, hatte ihre bergsteigerische Erschliessung oft auch eine geistliche Dimension. Nicht selten waren es Pfarrpersonen, die solche Expeditionen mitmachen â wie der BĂŒndner Pater Placidus a Spescha, welcher zwar nicht bis ganz oben auf den Tödigipfel Piz Russein gelangte, aber dessen Erstbesteigung durch zwei BĂŒndner GemsjĂ€ger im Jahr 1824 bezeugte â und das Wort eines Geistlichen galt. Wie fĂŒhlen sich heutige Tödi-GipfelstĂŒrmer? Auch davon erzĂ€hlt das StĂŒck âIisziitâ, bei dem mehrere Generationen miteinander ins GesprĂ€ch kommen. Zur Mitwirkung ist ĂŒbrigens auch das Publikum eingeladen, etwa in der Schluss-Szene oder indem es in einer Szene wie im âLandsgemeinde-Ringâ bestimmt, welche Stimmen gehört werden. Zuviel verraten will Beni Hunziker noch nicht, doch auf Ăberraschungen darf man sich gefasst machen. Denn wenn der Strahler, gespielt von Hanspeter Zweifel, seine Schatzkatze öffnet, gibt es immer wieder Erstaunliches zu entdecken. Etwa ein altes Buch mit VolkerzĂ€hlungen aus dem Wallis, wo berichtet wird, wie einst Geistliche einen Gletscher bannten, um ihn von den HĂ€usern und GĂ€rten der Menschen fernzuhalten. Zitat: âFrĂŒher konnten einige noch genau die Stelle zeigen, bis wohin sie ihn zu bannen vermocht hatten. Weiter hinauf brachten sie ihn nicht, weil er voller armer Seelen war, welche dort im Eis bĂŒssen mussten.â Vor bald 15 Jahren dagegen gab Papst Benedikt XVI. die Erlaubnis, fĂŒr das Weiterbestehen des Aletschgletschers zu beten: âNeu gilt die jĂ€hrliche Prozession auch dem Gebet gegen das weitere Wegschmelzen.â
Heuer wirkt beim Theater âIisziitâ mit Manja Pietzcker auch die reformierte Pfarrerin der Gemeinde Grosstal mit. Vor bald drei Jahren von Dresden nach Betschwanden ĂŒbergesiedelt, hat sie ihre neue Heimat bereits ins Herz geschlossen. Und fĂŒr ihren Einsatz im StĂŒck sogar Jodelunterricht genommen: âWenn Laura als Bergbauerntochter, die gut jodeln kann, eine Solo-Arie aus der h-moll-Messe lernen kann, dann mĂŒsste ich auch das Jodeln lernen können.â Und wer weiss, vielleicht wird sie ja auch einmal noch den Tödi, dessen erhabenen Anblick sie aus dem Pfarrhaus noch immer tĂ€glich bewundert, ganz aus der NĂ€he sehen? In âIisziitâ wird sie im Talar auftreten: âIch kann und will in meiner Kirche nur ich selber sein, als Person, aber eben auch als Pfarrerin. FĂŒr mich geht es bei der Frage nach unserem Umgang mit den Bergen, TĂ€lern, Gletschern und FlĂŒssen auch um unser VerhĂ€ltnis zur Schöpfung, diesem Wunderwerk, das uns umgibt und das in letzter Konsequenz fĂŒr uns immer unverfĂŒgbar bleiben wird. Ob man mit Bittgebeten fĂŒr das Schmelzen oder Wachsen eines Gletschers sorgen kann, wage ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist diese Herangehensweise etwas zu schlicht fĂŒr die KomplexitĂ€t, die all dem zugrunde liegt. Wir sind eingebunden in ein grosses Ganzes, und da gehört die SpiritualitĂ€t mit dazu. DafĂŒr stehe ich in diesem StĂŒck.â
TheaterauffĂŒhrungen âIisziit â Glarnerseel und Tödifirnâ am 16., 17., 22. Bis 24. Mai, jeweils 20 Uhr, Infos und Tickets unter www.kulturgesellschaft-glarus.ch
Text und Bilder: Swantje Kammerecker
Theater in der Kirche