Stiller Protest für die Verstorbenen
Am Sonntag 13. Dezember, zündete Gabriela Allemann mit anderen in ihrem Garten 117 Kerzen an. Eine Kerze für jeden Menschen, der im Kanton Solothurn durch das Corona-Virus sein Leben verloren hatte. Täglich sterben daran in der Schweiz rund hundert Menschen.
Die Pfarrerin wollte damit zeigen, dass sie um die Verstorbenen trauern und mit den Angehörigen fühlen. Allemann ist überzeugt, man müsste mehr für den Schutz und das Wohl der Menschen machen. Für sie ist die Pandemie kein politisches Thema und dürfe nicht zu einem gemacht werden. «Es geht schlicht darum, Menschenleben zu retten. Denn hinter jeder Todeszahl steht ein Schicksal.»
Die Situation verunsichert
Was Gabriela Allemann in Erinnerung ruft, erleben zurzeit viele in der Kirche. Pfarrerinnen, Pfarrer und Diakone sind von der Corona-Pandemie konkret betroffen: Bei Abdankungen, am Krankenbett, bei den Hausbesuchen oder in den Spitälern. Die Situation verunsichert und macht einsam, auch wenn viele für die Massnahmen Verständnis haben, sagt Sozialdiakonin Adriana Di Cesare.
Manchmal sind es nur Kleinigkeiten. Er vermisse die Seniorennachmittage, die Mittagstische und die Jassrunde, erzählt der 82-jährige Hans Leu. Andere sind schwer getroffen. Johanna Müller verlor ihren spanischen Ehemann im letzten Winter an Corona. Das Ehepaar lebte damals in der Nähe von Madrid. Die 62-Jährige durfte ihrem Liebsten nicht beistehen. «Ich leide sehr darunter, dass mein Mann alleine sterben musste, ich habe mich so hilflos gefühlt», sagt sie. Die Schweizer Corona-Politik hat sie enttäuscht. «Angesichts der vielen Toten würde ich mir ein gezieltes Handeln wünschen. Denn es kann jeden treffen.»
Enormer Druck auf Pflege und Ärzte
Stark betroffen sind auch die Spitalseelsorgerinnen und -seelsorger. Im Kantonsspital Olten erlebt Pfarrerin Leni Hug, unter welchem Druck Pflegende, Ärztinnen und Ärzte stehen. Die schwierige Situation und das Gefühl, keine Zeit mehr für die Patienten zu haben, belastet und macht müde. Dazu kommt das eingeschränkte Besucherrecht, das wenig Raum lässt, seinen Nächsten beizustehen und sie bis zuletzt zu begleiten. «Das stellt gerade Schwerkranke vor schwierige Entscheide, weil sie sagen müssen, wer sie besuchen darf», sagt Barbara Oberholzer, Spitalseelsorgerin am Universitätsspital Zürich.
Inzwischen reagieren die Kirchgemeinden auf die Situation: Im «Corona-Manifest» halten die drei Stadtzürcher Kirchen fest, dass sie sich trotz einschränkender Regelungen speziell für Kranke und Schwache einsetzen wollen. So soll niemand alleine sterben, in den letzten Minuten soll eine Person am Bett weilen dürfen.
Würde der Betagten
Reformierte und katholische Pfarrer und Theologen fordern in einer Erklärung, die Würde des Menschen auch in einer Corona-Pandemie aufrechtzuerhalten. Es dürfe nicht sein, dass das Sterben stillschweigend hingenommen werde. Die Initianten kritisieren, dass das Schicksal der Opfer mit dem Hinweis auf Alter, Übergewicht und Vorerkrankungen relativiert werde. «Dadurch verschiebt sich der Wert des Lebens in eine gefährliche Richtung einer impliziten Schuldzuweisung.»
Tilmann Zuber, kirchenbote-online
Stiller Protest für die Verstorbenen