News von der Glarner reformierten Landeskirche
Sommerserie: Biblische Liebespaare

Sara und Abraham: Der lange Weg zum Wunschkind

von Noemi Harnickell
min
20.07.2023
Warten. Tage, Wochen, Monate, Jahre. Auf die Hoffnung im Bett folgt die Enttäuschung im Bad. So hatte sich Sara das nicht vorgestellt. Für die Sommerserie «Biblische Liebespaare» erzählt Noemi Harnickell die etwas andere Geschichte von Sara und Abraham.

«Habe Hoffnungen, aber habe niemals Erwartungen. Dann erlebst du vielleicht Wunder, aber niemals Enttäuschungen.»

Ich konnte den Blick nicht von dem Kalender «Inspirierende Zitate» im Badezimmer meiner Schwiegereltern wenden. Unter dem Spruch stand in kursiven Buchstaben: «F. Assisi». Wäre mir nicht so schlecht vor Unbehagen gewesen, hätte ich vielleicht laut gelacht. Aus irgendeinem Grund hatten die Hersteller als Monatsbild ein tätowiertes Frauenhandgelenk gewählt. Zartrosa Kirschblüten auf weisser Haut, daneben ein japanisches Schriftzeichen, das wohl so etwas wie «Kraft» oder «Mut» bedeuten sollte, in Wirklichkeit aber wohl für «Mikrowelle» stand.

Ein viel passenderes Bild, dachte ich, wäre der Joker aus Batman gewesen. Ein höhnisches, verzerrtes Grinsen, vielleicht sogar ein ausgestreckter Zeigefinger, während meine eigenen zitternden Hände einen Fetzen Klopapier festhielten, auf den ich nicht zu schauen wagte.

 

Sommerserie: Biblische Liebespaare

Alt und jung, treu und untreu, verheiratet oder ledig: Das Alte und das Neue Testament erzählen von unzähligen Paaren. Es sind Geschichten voller Leidenschaft und Wärme, voller Höhen und Abgründe.

Die Sommerserie greift einige dieser biblischen Paare auf und versetzt ihre Geschichten in die heute Zeit. Die moderne Interpretation alter, traditioneller Lesarten lässt deren Kernaussagen wieder deutlicher hervortreten und Überraschendes kommt zum Vorschein. Herzschmerz-Autorin Rosamunde Pilcher hätte ihre Freude daran.

Erscheinungstermine
Donnerstag, 13. Juli:
Joseph und Maria: Vom Leben mit einer Angebeteten, von Franz Osswald
Donnerstag, 20. Juli: Sara und Abraham: Der lange Weg zum Wunschkind, von Noemi Harnickell
Donnerstag, 27. Juli: Batseba und David: Das letzte Machtspiel, von Karin Müller
Donnerstag, 3. August: Moses und Zippora: Kaltes Erdbeereis und heisse Liebe, von Noemi Harnickell
Donnerstag, 10. August: Adam und Eva: Die Sehnsucht bleibt, von Tilmann Zuber

 

Aus dem Wohnzimmer drangen die hungrigen Schreie meiner Nichte, gefolgt von dem müden Stöhnen meiner Schwägerin und dem Verrücken der Stühle. Das Schreien kam kurz näher und entfernte sich sogleich wieder, als das Baby nach oben gebracht wurde. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Das Klopapier in meiner Hand war blutgetränkt.

Aus diesem Blut, hatte ich gehofft, würde eines Tages ein hungriges, schreiendes Wesen. Blut, für das ich vor ein paar Wochen in einem Anflug übermütiger Hoffnung einen Strampler mit Tigermuster aus Biobaumwolle gekauft hatte. Am liebsten hätte ich den Strampler mitsamt dem Klopapier gegen den dämlichen Kalender geknallt. Stattdessen zog ich meine Hose hoch und drückte die Spülung.

 

***

 

«Habe Hoffnungen.» Dass ich nicht lache.

Ibro und ich versuchten seit Jahren, ein Kind zu bekommen. Ich wusste, wie sich der Eisprung ankündigte und wie das ideale Zeitfenster aussah, hatte mir in regelmässigen Abständen Blut und Urin abnehmen lassen und mir täglich Hormone gespritzt. Je weniger funktionierte, desto mehr schrieb ich private Samenspender auf dem Schwarzmarkt im Internet an, verlor aber schliesslich den Mut, mich darauf einzulassen. Die Hoffnungen, die Schmerzen, die schlaflosen Nächte. Alles endete hier im Bad meiner Schwiegereltern.

Ibro und ich hatten immer gewusst, dass wir Kinder wollten. Wir wussten auch, dass es schwierig werden könnte. Als ich Ibro vor fünfzehn Jahren auf einer Geburtstagsfeier kennenlernte, befand er sich gerade wegen Hodenkrebs in Behandlung. Kein Hindernis für Kinder, sagte er damals. Aber womöglich eine Erschwernis.

Mich nicht in ihn zu verlieben, selbst mit diesem Wissen, wäre unmöglich gewesen. Seine dunklen Haare und die Augen, sein Lachen und die Art, wie er mich zum Lachen brachte; ich hätte ihm am liebsten sofort alle meine Geheimnisse anvertraut. Wenn ich mir damals vorstellte, er würde niemals Vater, brach mir ein Stück des Herzens. Aber es brach so wie in einem traurigen Film. Die Vorstellung war für mich nicht real. Wir würden dieses Problem nicht haben. Viel eher würden wir viel zu viele Kinder in die Welt setzen, so wie meine Eltern es getan hatten.

Aber die Kinder kamen nicht.

Als die Reproduktionsmedizinerin uns schliesslich Ibros Spermiogramm vorlegte, mussten wir beide lachen. «Da hätten wir auch Lotto spielen können!», sagte er. Und genau das taten wir auf dem Heimweg dann auch.

Die Ärztin sprach gern von Hoffnung. Am meisten versprach sie sich von der Hormonstimulation. In einem Zyklus würden in mir statt einer einzigen Eizelle ein ganzes Dutzend heranreifen. Aus einer davon könnte vielleicht ein Embryo wachsen. Nichts war gewiss, natürlich, aber es gab Hoffnung.

«Kriegen wir Mengenrabatt, wenn wir ein Dutzend Embryonen bestellen?», fragte Ibro. Ich wollte nicht lachen, meine Mundwinkel verzogen sich trotzdem.

 

***

 

«Du siehst blass aus, brauchst du frische Luft?»

Ibro stellte die Bierflasche, mit der er seinem Vater zuprosten wollte, zurück auf den Tisch. Wir hatten seinen Eltern nicht gesagt, dass wir versuchten, ein Kind zu bekommen. Auf die unnatürliche Art. Sie dachten, ich leide an einem sehr niedrigen Blutzuckerspiegel. Die Lüge nagte an mir, aber ich war froh, dass Ibros Frage nun kein Stirnrunzeln auslöste.

Das Dorf von Ibros Familie war ein guter Ort, um Kinder grosszuziehen. Viel Wald, weite Gärten, wenig Verkehr. Sonntags Kaffee und Kuchen bei seinen Eltern. Ein Stück heile Welt. So hatte sich das angefühlt, als wir das Haus vor vier Jahren gekauft hatten. Jetzt kam mir der Gedanke so albern vor wie der schwarz-orange gestreifte Strampler, der zu Hause in einer Kommode lag.

«Es war erst der erste Versuch», sagt Ibro. «Wir können es noch einmal versuchen.» Er legte seinen Arm um meine Taille und zog mich an sich. Ich folgte ihm.

Mein Kopf konnte den Gedanken nicht fassen. Kein Kind. Keine Familie. Ich fühlte, wie mir schwindelig wurde. «Ich wünschte», sagte ich, «ich hätte diesen Kinderwunsch nicht.»

«Wir werden einen Weg finden», sagte Ibro und küsste meinen Kopf. Er war so gross, dass er sich dafür bücken musste. Das hatte ich immer an ihm geliebt. Wie beständig er war. Eine Festung, gegen die der Sturm preschte und sie nie brechen konnte. Doch diesmal spürte ich die Kälte des Windes in mein Innerstes dringen. Es gab keinen Ausweg. Es gab nur mehr Hormonspritzen und Arzttermine, Abklärungen und Warten, Warten, Warten.

Da war Ibros Mutter, die sagte: «Mehr Enkelkinder, das wäre schön!» Da war meine eigene Mutter, die ich nicht mehr gesehen hatte, seit ich neunzehn war. Da war Ibros Schwester, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hatte, eine «Überraschung», wie meine Nichte dies nannte. Da war der Schmerz darüber, dass andere Menschen zufällig Kinder bekommen.

Meine Familie, so hatte ich immer gedacht, sollte einmal anders sein als die, in der ich gross geworden war. Keine Wut, kein Schreien, keine Wochen alten Wäscheberge im Flur. Ich würde die Mutter sein, die ich nie hatte. An dieser Hoffnung hatte ich immer festgehalten.

 

***

 

Der Nachmittag war fortgeschritten. Ibro spielte mit seiner Schwester und Mutter Skat, seine Nichte schlief mit dem Kopf auf seiner Schulter. Ich sass auf der Couch am Fenster und sah ihnen zu.

Es nochmal versuchen. Ich wusste nicht, ob ich bereit war, wieder in einem Badezimmer zu sitzen und zuzusehen, wie all meine Hoffnungen zerflossen.

«Sara.»

Darko, Ibros Vater, stand über mir. «Du siehst traurig aus», sagte er.

Darko war vor dreissig Jahren aus seiner bosnischen Heimat geflohen. Mit Traurigkeit, das wusste ich, kannte er sich aus. Ich hatte immer eine Verbundenheit zu ihm empfunden. Die Heimatlosigkeit, das Neuankommen, das Heimat finden. Unsere Geschichten mochten anders sein, aber wir kannten die Gefühle des anderen.

«Verlierst du manchmal die Hoffnung?», fragte ich.

Darko liess seine Finger gedankenverloren über die Phalaenopsis auf der Fensterbank gleiten. «Meine Orchideen», sagte er, «blühen nicht, weil ich mich gut um sie kümmere. Sie blühen, um sich zu vermehren. Und kurz vor ihrem Tod, wenn sie ihre Jahreszeit spüren, stecken sie ihre letzte Kraft in die Blüte.»

«Gesprochen wie ein wahrer Biologe», sagte ich und schenkte ihm ein müdes Lächeln. Vielleicht war da ja doch noch etwas Kraft in mir. Die Kraft, es nochmal zu versuchen. Die Kraft, noch einmal das Hoffen zu wagen.

Darko schüttelte den Kopf. «Du fragst mich, ob ich manchmal die Hoffnung verliere. Ich sage, Hoffnung ist unwichtig. Du brauchst Zuversicht. In den Prozess. In den Frühling. Schau.» Er tippte mit dem Zeigefinger gegen eine dem Licht zugewandte Knospe. «Manche Leute werfen ihre Orchideen weg, sobald die Blüten verwelkt sind. Aber wer Geduld hat, der wird sie im nächsten Frühjahr wieder blühen sehen.»

 

Sara und Abraham in der Bibel

Sara ist die Halbschwester Abrahams. Sie kann keine Kinder bekommen und gibt Abraham ihre Sklavin Hagar zur Frau. Als Hagar schwanger wird, kämpft Sara mit ihrer Eifersucht. Hagar flieht in die Wüste und bringt Ismael zur Welt. Auf Gottes Geheiss kehrt Hagar zu Sara zurück.

13 Jahre später verkündet Gott der 90-jährigen Sara, dass sie doch noch von Abraham schwanger wird und einen Sohn bekommt. Als drei Männer Abraham die Botschaft Gottes überbringen, muss Sara laut lachen. Dennoch bringt sie später Isaak zur Welt. Sara stirbt im Alter von 127 Jahren.

Unsere Empfehlungen