Rückzug, ein guter Traum
Von Pfarrer Peter Hofmann
In seiner Videobotschaft sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj an der Friedensdemonstration in Bern am 19. März: «Bevor ich zum Präsidenten geworden bin, habe ich meine Freunde gefragt, weshalb können wir nicht so leben wie Sie in der Schweiz? Auf diesem Niveau, mit diesen Lebensstandards, mit dieser Freiheit, auch mit solchen Gemeinden, wo wir ganz sicher sind, dass wir stark sind… Das wäre ein Traum für alle Menschen, erfolgreiche Menschen, nicht so erfolgreiche Menschen, das könnte ein guter Traum sein, damit die Ukrainer genauso wie die Schweizer spüren können, dass sie in freien Gemeinden wohnen, dass sie alle sich um den Wohlstand kümmern. Das ist für Sie vielleicht eine ganz normale Sache, aber für uns sind das Reformen, das ist ein Weg, den wir gehen.»
Seit den Freiheitskämpfen im Mittelalter sind die ethischen Anforderungen an die Völkergemeinschaft grösser geworden. Möglichkeiten des Kampfes um Frieden und Freiheit und Möglichkeiten der Unterstützung gibt es zum Glück auch deutlich mehr als früher.
Heute ist der Donnerstag der fünften Woche der Fasten- und Passionszeit. In diesen Tagen machen wir uns bereit für den Frühling und für Ostern. Selten tönt eine Aussage wie jene des Mannes von Nazareth so aktuell wie diese: «Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Grossen ihre Macht gegen sie einsetzen» (Mt 20,25). Gleichzeitig bricht im stillen österlichen Triumph des Auferstandenen Hoffnung auf. Wir Menschengeschöpfe sind trotzdem gelungen. Und die Welt, die wir beeinflussen, gelingt auch.
Er ist in seinem Leben dafür hingestanden, dass sich die Umstände ändern müssen und ändern können. Mit Mittelmass hat er sich nie angefreundet. Alles musste aussergewöhnlich gross sein, ja fantastisch. Er hatte nicht nur einen Traum, sondern unendlich viele. Die ganze Welt sollte farbig und hell werden. Gemütliches Familienleben? Fehlanzeige! Aus allen Menschen wird eine Familie, «one world». Andere hofften vielleicht auf Paarbeziehung. Der Wille Jesu war, alle zu umarmen.
Es gibt viele Hoffnungsgeschichten. Es sind keine dunklen, es sind helle Geschichten. Sie erzählen von einer Welt, die im Geburtsprozess steht.
Einmal mehr realisieren wir an einer Fahrt: Obwohl der heutige Brauch auf alte Zeiten zurückgeht, gibt es aktuelle Bezüge. Zum Schluss eine Erinnerung, die ich weiterspinne. Es war zehn Jahre nach der Gründung unseres modernen Bundesstaates, als der Linthaler Pfarrer Bernhard Becker in seiner Fahrtspredigt das soziale Elend der Arbeiter in den Glarner Textilfabriken anprangerte. Seine Predigt war damals Anstoss für die damals schweizweit erste Fabrikgesetzgebung.
Hochverehrte Frau Landammann! Geschätzte Damen und Herren Landräte! Es braucht heute neue Schutzmassnahmen als Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen in der Spätmoderne. Als Geistlicher, der sich mit der Seele und ihren verschiedenen Stimmungen beschäftigt, finde ich es richtig und wichtig, alle Arbeitnehmer bekämen vom Gesetz her nach einer bestimmten Zeit der Treue gegenüber ihrem Arbeitgeber einen bezahlten Rückzug.
Liebe Männer und Frauen! Auf dem Sterbebett möchte ich einmal nicht bereuen müssen, vor lauter Karriere mein Lebensziel verpasst zu haben. Deshalb träume ich von einem längeren Rückzug nicht nur für mich, sondern für alle Menschen. Wie die Mutterschaftsentschädigung und der neu geschaffene Vaterschaftsurlaub könnte dieses Time-Out über die Erwerbsersatzordnung finanziert werden. Meine Kirche ist in dieser Hinsicht unserer Zeit voraus, denn für ihre Angestellten gilt: «Eine persönliche oder dienstliche Standortbestimmung stellt Weiterbildung dar, ebenso die spirituelle, nicht zielgerichtete persönliche Regeneration.»
Was für eine Wohltat: Wir müssen und können nicht immer irgendetwas machen und produzieren. Deshalb brauchen nicht nur Angestellte von Kirchen, sondern unsere Gesellschaft braucht den Rückzug auf einen Rastplatz, die Berufsleute in den Familien genauso wie die Berufsleute in Dienstleistungsbetrieben, Industrie, Verwaltung, der ganzen Schweiz.
Spinnen wir die skizzierte Geschichte weiter. Es soll eine helle, eine ganzheitliche Geschichte werden. Kümmern wir uns mit Entschiedenheit und klaren Konzepten um die seelische Wohlfahrt von allen. Träumen wir nicht nur vom russischen Rückzug, sondern arbeiten wir am eigenen Rückzug. Das kann ein guter Traum sein, für erfolgreiche Menschen und für nicht so erfolgreiche.
Grosse Schäden wegen Burnouts in der Schweiz
Die Autoren der Studie «Job-Stress-Index 2018» von Gesundheitsförderung Schweiz schätzen den durch Stress entstanden Schaden aus Produktivitätsverlust für die Schweizer Betriebe auf 6.5 Milliarden Franken. An Finanzen sind das 1% der Wirtschaftsleistung pro Jahr. Im Vergleich: Die Beschaffung von 36 neuen Kampfflugzeugen F-35A kostet einmalig 6 Milliarden Franken. Rechnet man die anfallenden IV-Leistungen dazu, steigt der Schaden auf jährlich 10 Milliarden Franken.
Weiterführende Informationen
- https://gesundheitsfoerderung.ch/grundlagen/publikationen.html
- https://www.srf.ch/news/wirtschaft/grosse-volkswirtschaftliche-schaeden-wegen-burnouts
- Franziska Griesser-Birnmeyer (2020): Auszeit als heilsame Unterbrechung. Entwicklungslinien von Sonntag und Sabbatical und deren Gestaltung in der Spätmoderne aus praktisch-theologischer Sicht. Dissertation 2018. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, ISBN 978-3-374-06660-5
Rückzug, ein guter Traum