«Rote Lippen sollen predigen»
Humor sei in der Kirche selten geworden, schreibt der Kommunikationsfachmann Markus Baumgartner und Herausgeber des Dienstagsmails zur Nominierung der «Reformanzen». Die drei Pfarrerinnen Kathrin Bolt, Andrea Weinhold und Marilene Hess aus St. Gallen brächten genau das auf die Bühne. Als «Röbi und die Reformanzen» füllten sie mit ihrem Comedy-Programm zum Reformationsjubiläum Säle. Bei der Publikumsumfrage landeten sie auf dem Ehrenplatz.
Ein ungeplanter Erfolg
Die Enttäuschung über den Nichtgewinn des Awards war von kurzer Dauer. «Die Nomination und der zweite Rang freuen uns sehr. Es zeigt einmal mehr, dass die ‚Reformanzen’ mehr Resonanz ausgelöst haben, als wir erwartet haben», sagt Kathrin Bolt. Mit ihren Pfarrkolleginnen stand sie während des Jubiläumsjahrs «St. Gallen – 500 Jahre Reformation» über zwanzig Mal vor mehr als tausend Zuschauern auf der Bühne. Das war so nicht geplant.
«Wir haben nur den ersten Auftritt terminiert. Wir wollten zunächst sehen, ob unsere Ideen beim Publikum ankommen», erklärt Marilene Hess. Drei, vier Treffen und zwei Proben, sollten ausreichen, um das Programm mit Liedern, Poetry Slam, Anekdoten und Gedichten zu realisieren. «Wir sind drei komplett verschiedene Persönlichkeiten. Diese Vielfalt floss in unser Programm ein und wir stellten erstaunt fest, wie gut alles zusammenpasst. So entstand unsere Comedy-Show», erinnert sich Andrea Weinhold. Und Reformanzen? Ja das komme von reformiert und Emanzen und nicht von Romanzen, obwohl etwas Romantisches und Feminines erhalten bleibe.
Wer aber ist dieser Röbi, der im Namen der Gruppe an erster Stelle auftaucht? Geht es selbst bei den «Pussy Riots der Reformierten», wie sich die drei selber bezeichnen, nicht ohne Männer? Ja, geben die Pfarrerinnen zu, Röbi sei der Mann am Klavier, der den Frauen den Rücken freihält und die «Reformanzen zum Klingen» bringe.
Derb und liebevoll zugleich
Die «Reformanzen» röntgen die reformierte Kirche ebenso wie den Zwingli, das Jubiläum, die Predigt und sich selbst. Wohl ist das Kabarett hier wie dort deftig und derb. Doch die drei Pfarrerinnen agieren lustvoll, liebevoll und mit Witz, glätten, was sich überwerfen könnte. Der Song «Life ist life» wird bei den «Reformanzen» zum «Wife is wife». Bonhoeffers gute «Mächte» mutieren zu «Männern» und plötzlich wirken «Frauen oft verborgen». Und als die Wahl des höchsten Schweizer Reformierten ins Jubiläumsjahr der Reformation platzt, zögern die drei nicht. Sie bauen kurz entschlossen den Kirchenbunds-Präsidenten Gottfried Locher als «selbstverliebten Bischof» ins Programm ein, nehmen sich die von ihm befürchtete Feminisierung der Kirche vor und singen lauthals: «Rote Lippen sollen predigen».
Mit dieser Leichtfüssigkeit finden die drei Pfarrerinnen die Zuhörer. «Die Menschen fühlen sich verstanden», so Weinhold. Sie und ihre Kolleginnen schlagen mit Humor eine Brücke zu ihnen. «Aber auch zu uns selbst», ergänzt Hess. Es habe dem Image der Kirche gutgetan, der ernsten Männerkirche eine andere Seite zu geben, sind die drei Frauen überzeugt.
Ob sie weitermachen, lassen sie offen.
Katharina Meier, kirchenbote-online, 9. April 2019
«Rote Lippen sollen predigen»