News von der Glarner reformierten Landeskirche
Sommerserie: Biblische Liebespaare

Moses und Zippora: Kaltes Erdbeereis und heisse Liebe

von Noemi Harnickell
min
12.07.2023
Das Letzte, was Zippora suchte, war ein weiterer Kerl, der aus ihr eine gute Hausfrau machen wollte. Doch ihre Familie sah das anders. Für die Sommerserie «Biblische Liebespaare» erzählt Noemi Harnickell die etwas andere Geschichte von Moses und Zippora.

Zwölf Zentimeter. Die Absätze ihrer Schuhe drückten in Zipporas Fersen, doch sie spürte es kaum. Der kleine Raum im Standesamt war von hellem Sonnenlicht durchflutet. Jemand hatte einen herzförmigen Luftballon an die Wand gehängt, auf dem in goldenen Grossbuchstaben M+Z geschrieben stand. Wenn Zippora zu lange darüber nachdachte, dann wurde ihr noch immer ein bisschen schwindelig. Wie normal das hier alles aussah. Wie gross und unfassbar es sich anfühlte.

 

Sommerserie: Biblische Liebespaare

Alt und jung, treu und untreu, verheiratet oder ledig: Das Alte und das Neue Testament erzählen von unzähligen Paaren. Es sind Geschichten voller Leidenschaft und Wärme, voller Höhen und Abgründe.

Die Sommerserie greift einige dieser biblischen Paare auf und versetzt ihre Geschichten in die heute Zeit. Die moderne Interpretation alter, traditioneller Lesarten lässt deren Kernaussagen wieder deutlicher hervortreten und Überraschendes kommt zum Vorschein. Herzschmerz-Autorin Rosamunde Pilcher hätte ihre Freude daran.

Erscheinungstermine
Donnerstag, 13. Juli:
Joseph und Maria: Vom Leben mit einer Angebeteten, von Franz Osswald
Donnerstag, 20. Juli: Sara und Abraham: Der lange Weg zum Wunschkind, von Noemi Harnickell
Donnerstag, 27. Juli: Batseba und David: Das letzte Machtspiel, von Karin Müller
Donnerstag, 3. August: Moses und Zippora: Kaltes Erdbeereis und heisse Liebe, von Noemi Harnickell
Donnerstag, 10. August: Adam und Eva: Die Sehnsucht bleibt, von Tilmann Zuber

 

Zippora liess ihren Finger sanft über die Heiratsurkunde gleiten, in deren linker unterer Ecke ihre krakelige Unterschrift prangte und neben die nun auch Moses seine setzte. Die Standesbeamtin schenkte Zippora ein warmes Lächeln und als Moses den Stift zurück auf den Tisch legte, drehte sich Zippora zu den Gästen um. Viele waren es nicht. Nur die beiden Trauzeugen und Zipporas Schwester. Es erschien Zippora wie ein Wunder, dass die drei überhaupt gekommen waren.

 

«Bevor wir gehen», sagte sie und warf der Standesbeamtin einen fragenden Blick zu, «darf ich noch etwas sagen? In Filmen reden die Leute viel, wenn sie heiraten. Auch mein Leben ist manchmal wie ein Film. Meistens kein schöner.»

Nicken. Noch ein Lächeln. Moses’ Hand fand die ihre und hielt sie fest, als hätte er Angst, sonst das Gleichgewicht zu verlieren.

«Als ich klein war», begann Zippora, «da stellte ich mir vor, dass ich eines Tages eine riesige Hochzeit feiern würde. Ich würde ein Kleid tragen wie die Prinzessinnen in den Märchen und hunderte Leute würden mir zujubeln.»

Sie blickte auf ihr blassrosa, mit Pailletten besticktes Sommerkleid und lächelte. Wenn das Sonnenlicht darauf fiel, brach es in tausend bunte Regenbogenfarben. Zippora hatte es erst gestern in einem Secondhandladen gekauft. Niemand, der ganz bei Sinnen war, da war sich Zippora sicher, heiratete in einem Paillettenkleid.

Sie fuhr fort: «Ich habe mir immer vorgestellt, wie ich auf meiner Hochzeit diesen vielen hundert Menschen unsere Liebesgeschichte erzählen würde. Sie wären alle ergriffen und würden weinen und ich würde erhaben und gütig auf sie herabschauen.»

 

Ein leises Glucksen. Ihre Schwester verdrehte die Augen. Aber sie lächelte dabei. Zippora schluckte hart. «Es ist enttäuschend, wenn Pläne nicht aufgehen, wie wir sie uns erträumt haben. Meine Eltern sind enttäuscht, weil ich nicht den Mann heiraten wollte, den sie für mich ausgesucht haben. Sie sind enttäuscht, weil ich nicht die Tochter sein kann, die sie sich gewünscht haben. Und ich bin enttäuscht, weil meine Eltern aufgehört haben, Eltern zu sein. Weil ihnen ihre Ehre wichtiger ist als ich. Aber ich bin nicht enttäuscht von dieser Hochzeit. Es gibt niemanden, den ich lieber heiraten möchte als Moses. Und es gibt niemanden, mit dem ich diesen Tag lieber feiern möchte als mit euch.» Zippora blickte suchend zu Moses, der ihre Hand drückte und leise lächelte.

«Wie ihr wisst», begann Zippora, «wollten meine Eltern, dass ich einen anderen Mann heirate. Einen, der unsere Sprache spricht und zu unserem Gott betet, mit dem ich eine Familie gründen kann und der keine Schande über unsere Familie bringt. Aber ich glaube, die beiden Götter, an die Moses und ich glauben, sind eigentlich Freunde und wollen, dass die Menschen sich lieben. Sonst hätten sie uns nicht zusammengeführt.»

 

Moses schnaubte in belustigter Empörung. «Ich stand vor der Eistruhe in einem Bahnhofkiosk und wollte gerade das letzte Erdbeereis herausfischen. Da kam diese Frau, schubste mich zur Seite und schnappte sich genau das Eis, auf das ich es abgesehen hatte! Ich denke, Gott hat sich da einen Spass erlaubt!»

«Entschuldige mal!», fiel ihm Zippora ins Wort. «Du brauchst immer eine halbe Stunde, um dich zu entscheiden. Du hast die Eistruhe blockiert!»

Moses hob lachend die Hände. «Ist ja gut, ist ja gut! Eigentlich hätte ich dir in dem Moment am liebsten gesagt, wie arrogant und unfreundlich du bist.»

Zippora hob eine Augenbraue. Sie war stolz auf diese kleine Fähigkeit und den Ausdruck auf ihrem Gesicht. «Aber?»

Moses errötete und senkte den Blick. Dann sah er Zippora direkt in die Augen, und sagte: «Aber diese arrogante, unfreundliche Frau war der schönste Mensch, den ich je gesehen hatte. Ich konnte den Blick einfach nicht von dir abwenden.»

«Ich hätte dir niemals meine Nummer gegeben», sagte Zippora. «Mein Vater stellte mir ständig irgendwelche Heiratskandidaten vor. Das Letzte, was ich suchte, war ein weiterer Kerl, der aus mir eine gute Hausfrau machen wollte. Aber du hattest Glück.»

«Glück würde ich das nicht nennen.»

 

«Ich schon.» Zippora wandte sich wieder den Gästen zu. «Da kamen plötzlich zwei grosse Kerle in den Bahnhofkiosk. Ich weiss nicht, was sie suchten, aber als sie uns sahen, fingen sie an, uns zu beschimpfen. Wir versuchten, sie zu ignorieren, aber das machte sie noch aggressiver. Der eine kam ganz nah heran und schlug mir das Eis aus der Hand. Das machte mich so wütend, dass ich mich auf ihn stürzen wollte. Was dachte der sich? Dass ihm in diesem Land alles gehört? Wissen die nicht, wie weit wir gereist sind, um hier leben zu können?»

Sie drehte ihr Gesicht zu Moses, der sie mit seinen tiefen, dunklen Augen ernst ansah. «Dann hörte ich plötzlich deine Stimme, so ruhig, als hättest du das alles von Anfang an so geplant. Du sagtest: ‹Hey, ist das euer Autoschlüssel?› In der Hand hattest du tatsächlich einen Schlüssel.»

«Den hatte ich auf dem Boden gefunden.» Moses lachte. «Die beiden waren so baff, die hätten mich am liebsten verprügelt. Aber ich hatte ja den Autoschlüssel und ohne den waren sie ziemlich aufgeschmissen. Ich sagte: ‹Ich bring den jetzt zur Polizei da drüben. Ihr könnt gleich mitkommen und denen erklären, warum ihr zu zweit eine Frau bedroht. Oder ihr lasst uns in Ruhe und holt ihn später ab. Eure Entscheidung.»

«Und dann bist du mit dem Schlüssel aus dem Laden spaziert, direkt zur Polizeistation. Die beiden machten keinen Wank. Du hast denen komplett die Luft genommen.»

«Ich habe in meinem Leben genug Gewalt gesehen, um zu wissen, dass das nicht die Lösung ist.»

 

«Die Leute sagen ständig, unsere Geschichte sei traurig», sagte Zippora. «Meine Familie wollte dich nicht akzeptieren und nun akzeptieren sie auch mich nicht mehr. Aber jedes Mal, wenn ich an unsere Beziehung denke, denke ich an diesen Tag. Ich denke daran, wie wir danach in die Gelateria gegangen sind und uns über diese Idioten lustig gemacht haben. Wir lachten den ganzen Nachmittag. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens.»

Moses lachte, dann umarmte er Zippora fest. Mit ihren Schuhen waren sie gleich gross, Zippora spürte seine schwarzen Locken an ihrer Wange. Er hatte versucht, die Haarpracht zu bändigen, aber Zippora gefiel gerade dieses Wilde. Sie würde ihr Leben damit verbringen, ihm die Haare zu zerzausen. Ihre Freude darüber hatte kaum Platz in ihr. Jemand klatschte in die Hände, leise und dann immer lauter, dann spürte sie plötzlich Arme, die sich um sie legten. Ihre Freunde. Ihr Zuhause. Sie war angekommen.

Mose und Zippora in der Bibel

Als Mose in der Wüste Midan bei einer Gotteserscheinung fast ums Leben kommt, rettet ihn Zippora. Mose hilft ihr mit den Schafen und wird später von Zipporas Vater eingeladen, bei ihnen zu bleiben. Mose und Zippora heiraten und bekommen zwei Söhne. Da Martin Luther den hebräischen Namen Kusch, Nubier, mit Mohr übersetzte, glaubte man, Zippora sei dunkelhäutig.

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