Militärdienst «als Chance zum Reifen»
Hauptmann Armeeseelsorgerin Sabine Herold, Jahrgang 1973, trägt am Kragen ihrer Uniform ein Kreuz und im Gesicht ein freundliches Lächeln. Sie entspricht nicht dem Bild, das man von der Schweizer Armee im Kopf hat: von straff geführten Soldaten, die mit ernstem Blick und Gewehr bei Fuss stehen, um Befehle entgegenzunehmen. Pfarrerin Sabine Herold erteilt keine Befehle, sie hat eine andere Rolle. Sie ist seit drei Jahren Armeeseelsorgerin, und das «mit Freude und Herzblut».
Als Mutter von drei Söhnen kennt sie die Probleme junger Männer. Der Militärdienst werde zwangsläufig zum Thema in ihrer Familie, sagt sie. Die Rekrutenschule sieht sie als «Chance zum Reifen». «Wenn ich die Rekruten über mehrere Monate begleite, sehe ich, wie sie sich entwickeln, und freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, dass jemand seinen Platz findet.»
In besonderer Erinnerung bleibt ihr ein junger Soldat, der grosse Zweifel hatte, ob er in der Armee am richtigen Ort ist. «Ich habe ihn ermutigt, dass er seine Situation wahrnimmt und überlegt, was er ändern kann. Am Ende hat er seinen Dienst durchgezogen in einer Funktion, die ihm grosse Freude bereitete», erzählt Sabine Herold. Er hat sich später in einem Brief bei ihr bedankt. «Das hat mich berührt.»
Uniform, aber kein Befehlston
Die Rekruten hätten nicht viele Gelegenheiten, unbeobachtet unter vier Augen reden zu können. «Wenn sie merken, dass sich jemand die Zeit nimmt, schätzen sie das», so die Erfahrung der Seelsorgerin. Dass sie eine Frau ist, erlebt sie nicht als Nachteil. «Ich trage zwar Uniform, werde aber wahrgenommen als jemand, der ‚von aussen‘ kommt und nicht im Befehlston mit ihnen spricht.» Manchmal braucht es den vollen Einsatz. «Die Rekruten anerkennen es, wenn ich auf einen Marsch mitgehe. So bin ich glaubwürdig», sagt Herold. «Es kommt nicht gut an, wenn ich der Truppe vor dem Marsch gute Ratschläge erteile und mich dann verabschiede. Auf den Märschen entwickeln sich manchmal tolle Gespräche.»
Verantwortung übernehmen
Die jungen Männer kommen mit verschiedenen Problemen zur Seelsorgerin. Die einen hätten im Leben noch nicht gelernt, mit Schwierigkeiten umzugehen. «Vielleicht, weil die Eltern ihnen bisher alle Probleme aus dem Weg geräumt haben. Nun stehen sie vor einer Herausforderung und müssen Verantwortung übernehmen. Sie müssen sich einordnen, haben keine Privatsphäre, können nicht ständig am Handy oder im Internet sein. Manche halten dies fast nicht aus.»
Andere kämpfen mit persönlichen Krisen. Etwa wenn sie vor Kurzem einen Angehörigen verloren haben oder sich ihre Eltern gerade trennen oder scheiden lassen.
Der Glaube als Schatztruhe
Sabine Herold hat Kontakt zu allen Armeeangehörigen, Rekruten, Unteroffizieren, Offizieren, Berufsoffizieren. Sie betreut Christen, Konfessionslose, Juden und Muslime. «Es ist wichtig, dass wir Armeeseelsorger für alle da sind.» Der Kontakt zur Armeeseelsorge ist sehr niederschwellig. Der direkte Zugang mache vieles möglich, sagt Herold. Was den Glauben angeht, ist es nicht die Aufgabe der Armeeseelsorge, zu missionieren. Doch wenn die Pfarrerin nach ihrem Glauben gefragt wird, ist sie gerne bereit, zu erzählen und ihre «Schatztruhe» zu öffnen.
Und am Ende die Gewissensfrage: Wie hat sie es mit der Waffe? Sabine Herold, die im zivilen Leben als Gemeindepfarrerin in Wohlen arbeitet, ist es gewohnt, darauf angesprochen zu werden. Dieses Thema sei unvermeidlich, meint sie. Sinn der Schweizer Armee sei der Schutz und die Verteidigung des Landes. «Dahinter kann ich stehen.»
Karin Müller, kirchenbote-online, 29. Januar 2020
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