News von der Glarner reformierten Landeskirche
Sommerserie Kindergeschichten

Mara

von Franz Osswald
min
23.07.2024
Die Hündin Mara und der 8-jährige Linus wurden Freunde. Doch danach sah es im ersten Moment nicht aus. In der zweiten Kindergeschichte unserer Sommerserie erzählt der Journalist und Krimiautor Franz Osswald, wie man es wieder hinbekommen kann, wenn etwas schiefgelaufen ist.

PÄNG! Der Lärm war ohrenbetäubend. Der Knall zerriss die Stille im Quartier. Gefolgt von einem Juchzer und freudigem Lachen. Linus, noch ein Dreikäsehoch von 8 Jahren, hatte den Kracher im kleinen Park neben der Schule hinter einer Hecke abgelassen. Ganz wohl war es ihm dabei nicht gewesen. Aber die Neugierde war grösser. Linus staunte über die Kraft, die in diesem Knallkörper steckte. Bekommen hatte er ihn von Jens, einem Klassenkameraden. Ein Überbleibsel vom 1. August des letzten Jahres. Die Freude währte aber nur kurz.

«Du elender Lausbengel! Ich habe dich schon gesehen. Schau, was du angerichtet hast! Mein Hund zittert und hat grosse Angst. Das arme Tier. Es will nicht mehr weiterlaufen. Wart nur, ich werde deine Eltern informieren. Ich weiss schon, wer du bist, der Linus vom Holunderweg.» Der ältere Herr hob seinen zitternden Hund auf die Arme und eilte schnellen Schrittes davon.

Die Drohung war dem Buben schlecht eingefahren. Telefon an die Eltern, wie schrecklich! Nun zitterte auch Linus. Mit schlechtem Gewissen lief er nach Hause und verkroch sich in seinem Zimmer. Beim Nachtessen bat ihn sein Vater, er solle nach dem Geschirrabwasch bei ihm kurz vorbeikommen. Er müsse mit ihm etwas besprechen. Linus wusste Bescheid. Sein Herz klopfte fest.

 

Franz Osswald ist Journalist und Krimiautor. In seinem letzten Roman «Stimmungstief» beobachtet Redaktor Oscar Behrens einen Mann, der wie ein Fremdkörper in einer Trauergemeinde sitzt. Und Behrens fängt an, nachzuforschen. www.franzosswald.ch

 

«Linus, heute Abend hat Herr Grimm angerufen. Du weisst, der Herr mit dem netten kleinen Hund, der Mara.» Linus starrte auf den Boden. «Du hast offenbar einen Knaller abgelassen und damit das Tier erschreckt. Es hat sich noch nicht erholt, hat mir Herr Grimm gesagt. Hat sich verkrochen, wie du vorher in deinem Zimmer. Von wem hast du den Knaller bekommen?»

«Von Jens, meinem Klassenkameraden», gestand Linus. «Er hat ihn letztes Jahr am 1. August in einem Geschäft gestohlen, aber es nicht gewagt, ihn abzulassen. Er meinte, ich hätte nicht den Mut, den Kracher zu zünden.»

«Und nun wolltest du es ihm beweisen. Eine ganz schlechte Idee, Linus! Du hast damit grossen Schaden angerichtet!» «Aber es ist doch nur ein Hund», versuchte sich Linus zu verteidigen.

«Nur ein Hund? Linus! Ein Tier ist ein Lebewesen, wie du und ich. Es spürt Schmerzen und zeigt Angst, nicht anders wie wir. Ich schlage vor, dass wir zu Herrn Grimm gehen und du dich bei ihm und bei Mara entschuldigst. Das scheint mir das Mindeste, was wir tun können.»

Linus liefen Tränen über die Backen. Genau davor hatte er sich schrecklich gefürchtet. Aber sein Vater liess nicht locker. Er ging zur Garderobe, zog Schuhe an und wartete, bis sein Sohn in die Sandalen geschlüpft war. Dann gingen sie los.

Der Vater drückte die Klingel. Die Türe wurde geöffnet. «Guten Abend, Herr Grimm. Ich wollte kurz mit meinem Sohn bei Ihnen und Mara vorbeischauen und um Entschuldigung bitten. Besser gesagt mein Sohn, der Linus.» Herr Grimm bat die beiden hereinzukommen. «Mara hat sich unter dem Sofa versteckt. Dort fühlt sie sich im Moment sicher. Mal sehen, wie sie auf Linus reagiert.» Sie begaben sich in die Stube. «So, Linus, nun ist es an Dir, dich zu entschuldigen, bei Herrn Grimm und bei Mara.» Der Vater schob seinen Sohn nach vorne.

Linus stotterte unter Tränen: «Es tut mir sehr leid, dass ich mit dem Kracher die liebe Mara erschreckt habe. Ich bitte Sie, Herr Grimm, und Mara um Entschuldigung. Ich habe einen Mist gemacht.» Herr Grimm legte verständnisvoll seine Hand auf Linus Schulter. Und was niemand erwartet hatte, trat ein: Unter der Decke, die übers Sofa ausgebreitet war, blickte plötzlich ein schnupperndes Näschen hervor. Dann kroch Mara vorsichtig unter dem Sofa hervor. Linus streckte ihr ebenso vorsichtig seine Hand entgegen. Es dauerte einen Moment, dann näherte sich Mara und begann, die Hand von Linus zu schlecken. Jene Hand, die den Kracher gezündet hatte und ihr Leid zugefügt hatte.

Linus wischte sich mit der anderen Hand die Tränen aus den Augen. Ja, sogar ein zaghaftes Lächeln huschte über seine Lippen. Während die Erwachsenen noch über Sinn und Unsinn von Krachern und Raketen am 1. August redeten, legte sich Mara vor Linus hin. Eine Pfote ruhte auf seinem rechten Fuss.

Als Linus am Abend im Bett lag und sein Vater kam, um ihm gute Nacht zu wünschen, hielt er in am Ärmel zurück. «Pappi, hast Du gesehen, wie Mara ihre Pfote auf meinen Fuss gelegt hat?» Der Vater hatte es nicht gesehen. Aber etwas anderes wusste er: «Schön, dass du die Grösse hattest, dich zu entschuldigen. Damit – und nicht dem Ablassen eines Knallers – hast du Mut bewiesen. Ich glaube, dass du dadurch sogar eine neue Freundin gewonnen hast, die kleine Mara!» Linus strahlte. Er schlief rasch ein und träumte von einem kleinen. lieben Hund. Was er seinem Vater nicht gesagt hatte: dass er vor dem Ins-Bett-gehen nicht beide Füsse gewaschen hatte. Nur den linken.

 

Sommerserie Kindergeschichten

«Mir ist langweilig!» «Wann sind wir endlich da?» «Ich will aber zocken!» «Ich habe mein Buch schon fertig.» Wer kennt es nicht: die ersehnten Sommerferien sind da und damit jede Menge Zeit. Lust auf eine neue Geschichte? In der Sommerserie «Kindergeschichten» geht es um Kinder und Tiere, die füreinander da sind, voneinander lernen und das grosse Glück suchen.

Geschichten für Kinder und Erwachsene zum Lesen, Vorlesen und Erzählen. Ob im Zug, am Strand oder zu Hause auf dem Sofa, wir wünschen Ihnen einen schönen Sommer!

Erscheinungstermine

Dienstag, 16. Juli: Die kleine Milla und das grosse Glück, von Anna Schindler
Dienstag, 23. Juli: Mara, von Franz Osswald
Dienstag, 30. Juli: Tobias erlebt ein Abenteuer, von Noemi Harnickell
Dienstag, 6. August: Der Schuhschnabel, von Tilmann Zuber
Dienstag, 13. August: Charlie und das Wunder des Lebens, von Swantje Kammerecker

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