«Man muss grosszügig gegenüber sich selbst sein»
Yvonne Waldboth, Sie waren Sprecherin beim «Wort zum Sonntag», hatten als Polizeiseelsorgerin immer wieder mit den Medien zu tun, und jetzt hat Sie ein «Dok»-Team des Schweizer Fernsehens einen Tag lang begleitet. Welche Erfahrungen mit den Medien haben Sie gemacht?
Mit den Leuten vom Schweizer Fernsehen habe ich gute Erfahrungen. Das sind Profis, dem Service Public verpflichtet. Sie wollen etwas Gutes machen. Sowohl beim «Wort zum Sonntag» wie auch jetzt mit dem «Dok»-Team war es auch eine gute Teamarbeit. Es ist zwar manchmal anstrengend, macht aber auch Spass.
Wurde beim «Dok»-Dreh spontan gedreht?
Ja. Man schaut aber, dass man einen Tag nimmt, an dem ich nicht nur im Kämmerlein an einer Predigt schreibe. Und man muss die involvierten Personen um Erlaubnis fragen. Ich hatte zum Beispiel ein Taufgespräch mit einer Familie zu Hause. Da muss man schon vorher fragen. Am «Dok»-Tag hatte ich auch mit Konfirmanden ein Erste-Hilfe-Programm mit Herzmassagen und ähnlichem. Eine Person wollte nicht vor die Kamera. Das muss man respektieren. Und man muss auch niemanden stressen.
Ein Unterschied zu anderen Medien?
Ich denke schon. Bei SRF platzt man nicht einfach unangemeldet in die Stube. Man federt das vorher ab.
Der Stil des Privatfernsehens behagt Ihnen weniger?
Ja. Ich bin auch nie an die Talkshows der privaten Stationen gegangen, als ich noch Polizeiseelsorgerin war. Wenn private Medien nach tragischen Fällen angerufen haben, nahm ich auch nie Stellung. Die Privaten sind mir zu sensationslüstern und auch unbedarft. Da ist mir die Zeit zu schade. Eine Stellungnahme oder auch ein Auftritt bedeuten ja immer Aufwand.
In diesem Fall lohnt er sich nicht?
Ich glaube nicht. Die kirchliche Arbeit soll sich präsentieren, und zwar gut. Das ist bei einer «Dok»-Sendung viel eher möglich. Es ist immer auch ein Geben und Nehmen. Meine Partnerin und ich haben uns vorher gefragt, wie viel wir in «Dok» von uns zeigen wollen. Den Hund konnte ich nicht fragen (lacht).
Wenn man Sie googelt, stösst man schnell auf Ihr «Wort zum Sonntag» von 1995, in dem Sie Bischof Peter Henrici wegen der Entlassung eines schwulen Mitarbeiters kritisierten. Stört Sie das?
Nein. So funktioniert das Internet, und so funktionieren Medien. Die Journalisten schauen im Archiv und entdecken das immer Gleiche, und zwar meistens die reisserischen Dinge. Es war mein damals zweites «Wort zum Sonntag». Ich habe mich wahnsinnig aufgeregt und mir gesagt: «Jetzt hast du die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Du würdest bereuen, es nicht zu tun.» Das gab dann eine Riesenaufregung, auch mit vielen positiven Reaktionen. Die Protestbriefe habe ich dann irgendwann verbrannt. Ich würde dieses «Wort zum Sonntag» aber jederzeit wieder machen und bereue nichts.
Kein bisschen?
Nein. Es ist ja klar: Wenn Sie den Kopf aus dem Fenster strecken, wühlen Sie den Bodensatz von Phobien einer Gesellschaft auf. Damit muss man leben. Übrigens: Peter Henrici und ich sind uns nicht gram deswegen. Ich schätze ihn sehr. Ein gescheiter Mensch.
Wie fest soll die Kirche in die Medien?
Die Kirche ist eine öffentlich-rechtliche Institution und von daher auch verpflichtet, Red und Antwort zu stehen. Deshalb soll sie in die Medien und über sich informieren.
Macht die Kirche das gut?
Die Zürcher Landeskirche macht das eigentlich gut. Aber wir haben das alte Problem, dass die katholische Kirche mit ihren Bischöfen und Päpsten interessanter für die Medien ist. Wir haben halt nur einen Kirchenratspräsidenten (lacht).
Stellt die reformierte Kirche ihr Licht nicht zu fest unter den Scheffel?
Doch, aber das ist halt reformiert. Wir sind bescheiden, etwas grau und damit für die Medien weniger attraktiv. Man muss aber auch mal etwas mitmachen. Letzten Dezember brachte der «Zürcher Unterländer» eine Adventsaktion, bei der lokale Persönlichkeiten mit einer Zahl in der Hand fotografiert wurden. Ich habe mitgemacht und mich auf dem Kirchturm ablichten lassen. Da darf man sich nicht zu schade sein. Für mein nächstes Projekt «Kulturvesper», ein Bankett in der Kirche Bülach, betreibe ich natürlich ebenfalls Medienarbeit.
Haben Sie die «Dok»-Sendung vom 10. August schon gesehen?
Nein. Die Sendung dauert eine Stunde, aber es sind vier Porträts. Mit dabei sind auch eine Maître de Cabine, ein Lehrer und ein Stauwerkarbeiter. Ich weiss ungefähr, was über mich kommen wird. Ich bin gespannt und mache mir keine Sorgen.
Woran erinnern Sie sich in Ihrer «Medienkarriere» besonders gern?
Einmal begleitete mich das Tessiner Fernsehen drei Tage lang als Polizeiseelsorgerin, darunter war auch ein Nachteinsatz. Das war intensiv, manchmal heikel, aber auch lustig, denn der Kameramann und der Tontechniker konnten nur Italienisch und meines ist limitiert (lacht). Aber auch die Polizisten haben es gerne gemacht. Das war nicht selbstverständlich, weil jeder eine andere Optik und andere Ziele hat.
Und was ist das Schwierige, wenn man in den Medien kommt?
Man muss damit leben, nicht immer von einer vorteilhaften Seite gezeigt zu werden. Es gab Momente, wo ich mir sagen musste: Das hätte ich jetzt besser sagen können. Oder: Das hätte ich gescheiter nicht gesagt. Das muss man auch ein bisschen liebevoll betrachten und grosszügig gegenüber sich selbst sein.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Matthias Böhni / ref.ch / 3. August 2016
«Man muss grosszügig gegenüber sich selbst sein»