Lieber Schweizer Wildwiesen als englischen Rasen
Kurt Zaugg, die Fachstelle «Kirche und Umwelt» Oeku zeichnet Kirchgemeinden, die besonders umweltbewusst handeln, mit dem «Grünen Güggel» aus. Sind solche Aktionen angesichts des weltweiten Klimawandels nicht der berüchtigte Tropfen auf den heissen Stein?
Nein, bei der Bekämpfung des Klimawandels sind wir alle gefordert. Wir müssen als Einzelne, als Organisationen und als Gesellschaft handeln und mithelfen, dass die vielen Tropfen das Meer füllen. Anders ist Veränderung nicht möglich. Auch eine Kirchgemeinde kann ihre Schuldigkeit tun, indem sie kontinuierlich ihren ökologischen Fussabdruck verkleinert.
Können hier die Kirchgemeinden als Pioniere auftreten?
Ja, eindeutig. Die Kirchgemeinden, die den «Grünen Güggel» erhalten, haben eine Vorbildfunktion. Die Bevölkerung nimmt dies wahr und schätzt den Einsatz. Meist berichtet die Regionalpresse ausführlich darüber.
Oeku thematisiert in diesem Jahr die Biodiversität. Warum sind so viele Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht?
Da kommen viele Faktoren zusammen. Die Pestizide spielen eine grosse Rolle, ebenso die Gestaltung der Landschaft, in der es kaum noch Hecken gibt. Die Meliorationen (Zusammenlegung von Äckern) brachte der Landwirtschaft eine Verbesserung, nicht jedoch in ökologischer Hinsicht. Insekten und Vögel finden heute kaum noch Unterschlupf auf den Agrarflächen. Man versucht jetzt mit Massnahmen, etwa mit Blumenwiesen zwischen den Feldern, dagegen anzugehen. Solche Projekte können jedoch die vielfältigen Landschaften aus der Vergangenheit nicht ersetzen.
Sie fordern die Kirchgemeinden auf, zu reagieren. Wo sollen die Kirchgemeinden konkret investieren?
Investieren klingt nach mehr Ausgaben. Ich denke, es wird eher das Gegenteil sein. Kirchgemeinden besitzen vielfach Grundstücke mitten in den Dörfern und Städten. Die Städte werden immer wichtiger für die Erhaltung der Biodiversität, gerade weil es dort keine intensive Landwirtschaft gibt und keine starken Gifte eingesetzt werden. Auf kleinen Strukturen, wie Gärten, Vorgärten oder dem Gelände der Kirchgemeinden, kann man Blumenwiesen anlegen. Wenn man die Wiesen und Blumen wachsen lässt, muss man weniger mähen, meist reicht zweimal im Jahr. Sofort siedeln sich dann eine grosse Anzahl Insekten, Falter und auch Vögel an, die hier ihre Nahrung finden. So entstehen in den Gemeinden ökologische Zentren.
Wenn man in die Vergangenheit blickt, stellt man fest, dass die Kirchen schon immer die Natur gestaltet haben: Angefangen bei den mittelalterlichen Klostergärten mit den Heilkräutern und später mit den Barockgärten und den Friedhöfen als Orte der Einkehr und des Rückzugs. Heute pflanzen die Kirchgemeinden Wildblumenwiesen. Ist es die Aufgabe der Kirchen, der Natur einen Ort des Rückzugs und des Asyls zu bieten?
Ja. Wir lesen in der Schöpfungsgeschichte, wie Gott alle Tiere und Pflanzen geschaffen hat, sie betrachtete und fand, das war gut so. Gott sah die Vielfalt und wir haben den Auftrag, für diese zu sorgen. Es ist geradezu symbolisch, wenn eine Kirchgemeinde in ihrer Umgebung diese Vielfalt sichtbar macht.
Heute besteht in den Kirchgemeinden der Trend, ihre Grundstücke zu überbauen.
Ich verstehe, dass die Kirchgemeinden sich so finanziell für die Zukunft absichern wollen. Das eine muss das andere aber nicht ausschliessen: Wenn man ein Gelände überbaut, dann sollte man ökologische Massnahmen treffen. Wenn eine Kirchgemeinde über die finanziellen Mittel verfügt, ihr Land frei zu halten, dann ist dies eine schöne und sinnvolle Geste, gerade in den Städten. Dies wird jedoch je länger je weniger möglich sein.
In vielen dicht bebauten Gebieten bilden die Kirchen und die Friedhöfe grüne Oasen. Wie wichtig ist die ökologische Rolle von solch unbebauten Flächen?
Sie spielen eine grosse Rolle. Dies wird von den Kirchgemeinden vielfach unterschätzt. Das Bundesamt für Umwelt hält klar fest, wie wichtig die ökologischen Trittsteine (unbebaute Freiflächen) im Siedlungsgebiet sind. Auf den Friedhöfen und den kirchlichen Geländen können die Arten in den Siedlungen hin- und herziehen. Wenn die Flächen rundherum bebaut wurden, dann sollte man die Grünflächen so bewirtschaften, dass der Austausch der Pflanzen und Tiere zwischen den Quartieren funktioniert. Gibt es in einer Siedlung nur noch Parkplätze und Betonklötze, dann hat es die Natur schwierig.
Was kann der Einzelne tun, um die Biodiversität zu steigern?
Auch auf einem Balkon kann man Pflanzen und Blumen ziehen, welche die Insekten anlocken. Das Schweizer Fernsehen SRF gibt dazu mit dem «Plan B» zahlreiche Anregungen. Man kann beispielsweise ein Bienenhotel auf dem Balkon aufhängen. Meine Tochter hat dies getan, inzwischen herrscht ein reger Verkehr von Bienen, die rein- und rausfliegen. Auch auf einer begrenzten Fläche kann man viel bewegen.
Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 28. Juni 2019
Lieber Schweizer Wildwiesen als englischen Rasen