News von der Glarner reformierten Landeskirche
Ratgeber Lebensfragen

Leserfrage: Erziehung auf Augenhöhe

von Tobias Steiger
min
25.09.2023
Mein Sohn hat die Lehre abgebrochen und sitzt nur noch vor dem Computer oder trifft sich mit Kollegen. Er weicht mir aus, wenn ich sage, dass er sich eine Arbeit oder eine neue Lehrstelle suchen solle. Was kann ich tun? Es ist schwierig, weil ich allein bin und er nur über mich lacht. M.K.
Tobias Steiger, Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie und für Psychotherapie FSP, Beratungsstelle für Partnerschaft, Ehe und Familie, Reformierte Kirche Baselland.

Tobias Steiger, Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie und für Psychotherapie FSP, Beratungsstelle für Partnerschaft, Ehe und Familie, Reformierte Kirche Baselland.

Unsere Kolumne zu alltäglichen Lebensfragen. Haben Sie Fragen? Schreiben Sie Ihr Anliegen an die Redaktion, wir werden es gerne weiterleiten. redaktion@kirchenbote.ch

«Die Qualität von Eltern bemisst nicht nach den Regeln, die sie ihren Kindern vorgeben, sondern nach der Art, wenn diese Regeln gebrochen werden.» (Jesper Juul)

 

Liebe Frau K.,

Sie sprechen zwei wichtige Themen an: zum einen den Umgang mit den eigenen heranwachsenden Kindern, die sich in einer schwierigen Phase befinden, zum andern geht es um Ihre anspruchsvolle Situation als alleinerziehende Mutter.

Die alleinige Verantwortung zu tragen, führt oft dazu, dass wir in schwierigen Situationen allein bleiben, uns isoliert fühlen und das Selbstvertrauen und das Vertrauen in unsere Beziehungsfähigkeit verlieren. Auch Eltern, die gemeinsam Verantwortung tragen, verlieren in Krisensituationen oft ihre soziale Einbettung. Aus Sorge und Belastung haben Sie sich vielleicht sehr engagiert, um Ihren Sohn zu erreichen, aber er fühlt sich nur noch schlecht, schuldig und verschliesst sich. In dieser schwierigen Situation Unterstützung zu suchen, wie Sie es getan haben, ist ein guter Schritt, eine mutige Entscheidung, die Sie aus Ihrer Isolation und Einsamkeit herausführt.

Anstatt als Elternteil zu versuchen, dass sich Ihr Sohn ändert, geht es darum, mit ihm auf Augenhöhe zu verhandeln. Dies gelingt durch den Aufbau einer elterlichen Präsenz (nach dem Konzept von Chaim Omer) und eines sozialen Netzwerkes mit Menschen, von denen Sie sich unterstützt fühlen.

Das Konzept der elterlichen Präsenz ist sehr einfach definiert: «Ich bin deine Mutter, ich bin dein Vater, ich bin hier, ich bleibe hier, du kannst mich nicht feuern.» Damit signalisieren Sie: Du bist mir wichtig, ich unterstütze dich. Ich mache dir keine Vorwürfe, ich verurteile dich nicht, ich glaube an dich. Ich verlange, dass du mich respektierst, ich will nicht mehr, dass du mich auslachst. Umgekehrt respektiere und schätze ich den Weg, den du gehst. Ich respektiere, dass du die Lehre abgebrochen hast, dass dieser Schritt für dich zu diesem Zeitpunkt notwendig war. Und ich bin für dich da, auch wenn du einen anderen Weg wählst.

Weder erlaubt die Haltung der elterlichen Präsenz alles, noch beharrt sie auf Konsequenz und Einhaltung von Regeln (Jesper Juul), sondern sie ist geprägt von wohlwollender, ernst nehmender und unterstützender Präsenz unter Gleichwertigen.

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