Konfessionslose: Schmarotzer beim kirchlichen Unterricht?
Die Sommerferien sind vorbei, das neue Schuljahr hat begonnen. In vielen Kantonen hat damit auch der konfessionelle Religionsunterricht wieder angefangen (jener Unterricht also, der von den Landeskirchen verantwortet wird und der je nach Kanton in Räumen der Schule oder der Kirche stattfindet). Da und dort nimmt auch ein Kind daran teil, dessen Eltern keiner Landeskirche angehören. Diese bezahlen keine Kirchensteuern und beteiligen sich somit auch nicht an den Kosten des Unterrichts. Soll man sie nun zur Kasse bitten?
In den Kantonen Bern, Uri, Ob- und Nidwalden verzichtet man grundsätzlich darauf. Auch die Aargauer Reformierten sind da grosszügig: Der Kirchenrat empfiehlt den Kirchgemeinden, keine Kosten zu erheben. «Uns ist wichtiger, diesen Kindern den christlichen Glauben und soziale Kompetenzen vermitteln zu können», sagt Frank Worbs, Sprecher der Aargauer Landeskirche.
Ein Signal an die Steuerzahler
Stefan Kormann, Kirchenpräsident im thurgauischen Aadorf, hingegen findet es unfair, wenn die einen über die Kirchensteuern dafür bezahlen müssen und andere nicht. «Dann können wir die Steuern gleich abschaffen.» Seine Gemeinde verschickt «seit etlichen Jahren» eine Rechnung in der Höhe von 300 Franken pro Schuljahr an Eltern, die keiner Landeskirche angehören, etwa sechs Rechnungen pro Jahr. «Für uns ist das auch ein Signal an die Steuerzahler.»
Die Thurgauer haben seit der neuen Kirchenordnung von 2014 explizit die Möglichkeit, den Religionsunterricht zu verrechnen. Jede Kirchgemeinde entscheidet aber selbst, ob sie es auch macht. «Die Kirchenpräsidenten haben sich für einen solchen Paragraphen eingesetzt», sagt Kormann. Das Einfordern des Betrages führe zu ganz unterschiedlichen Reaktionen, berichtet er aus der Praxis: «Für einige Eltern ist die Rechnung Anlass, wieder in die Kirche einzutreten. Andere nehmen ihre Kinder aus dem Unterricht.»
Nicht auf Kosten anderer
Viele Eltern seien zuerst mal erstaunt, wenn die Rechnung ins Haus flattere, «denn sie lassen ihre Kinder einfach mit den Gspänli mitlaufen.» Auch wüssten einige nicht, dass die Kirche den Unterricht bezahlen. Weil er oft in Schulräumen stattfindet, schreiben sie ihn auch der Schule zu. «Die meisten zahlen deshalb anstandslos», sagt Kormann.
«Solchen Eltern kann ein gewisses Schmarotzertum nachgesagt werden», meint auch der St. Galler Kirchenschreiber, Markus Bernet. «Sie treten aus und lassen ihre Kinder auf Kosten der Kirchensteuerzahlenden Religionsunterricht besuchen.» Die St. Galler Kirchgemeinden schreiben in der Regel einen Brief, sagt er. «Ihr Kind soll auf jeden Fall den Religionsunterricht weiter besuchen können», heisst es darin, «aber damit es nicht auf Kosten von anderen geht, bitten wir Sie, einen Anteil zu übernehmen». Weiter wird auch begründet, warum nicht einfach eine Rechnung versandt wird: «Wir könnten es uns einfach machen und Ihnen eine Rechnung schicken. Ein solches Vorgehen entspricht aber überhaupt nicht den Grundideen von Kirche».
Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis
Die Bündner Kirche empfiehlt ihren Kirchgemeinden, von Nichtmitgliedern 100 Franken zu verlangen, die Solothurner 200 Franken, und die Zuger Kirche legt den Eltern seit 2010 nahe, «je nach finanziellen Möglichkeiten» einen «Solidaritätsbeitrag» zwischen 100 und 400 Franken an eine von drei vorgeschlagenen Institutionen zu zahlen, was 65 Prozent im letzten Jahr auch taten. Knapp 120 konfessionslose Kinder von insgesamt gut 1500 Schülern besuchten dort den reformierten Religionsunterricht. Im Kanton Zürich schliesslich schaut man von Fall zu Fall: «Wir wollen immer zuerst herausfinden, welches die Hintergründe sind», sagt Katja Lehnert, Bereichsleiterin Katechetik und Bildung.
In der reformierten Kirche Baselland schliesslich sind viele Kirchgemeinden wieder davon abgekommen, den Besuch von konfessionslosen Kindern im Religionsunterricht in Rechnung zu stellen. «Diese Empfehlung ist längst überholt», sagt Kirchenrat Matthias Plattner. Das Eintreiben einer Gebühr sei «höchst schwierig» gewesen, Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis gestanden und die Kommunikation mit konfessionslosen Eltern mühsam. Die neue Haltung der Baselbieter Kirche ist deshalb, den Religionsunterricht «wieder vermehrt als diakonischen Bildungsauftrag an allen Schulkindern zu verstehen».
Anmerkung: Von den reformierten Kirchen beider Appenzell, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Freiburg, Waadt, Genf und Wallis lag bis Redaktionsschluss keine Antwort vor.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch»
Raphael Kummer / ref.ch / 25. August 2016
Konfessionslose: Schmarotzer beim kirchlichen Unterricht?