Kirchenasyl ist Teil der Seelsorge
Das Kirchenasyl in Lausanne, Basel und Kilchberg ZH machte Schlagzeilen. Dort suchten Flüchtlinge Zuflucht in der Kirche oder im Pfarrhaus und beriefen sich auf das Kirchenasyl. Trotzdem halten sich Behörden und Polizei heute nicht mehr zurück, dringen in die Gotteshäuser ein und führen die Asylsuchenden ab.
Nun legt der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK erstmals «eine Entscheidungshilfe zur aktuellen Diskussion um 'Kirchenasyl'» vor. Fazit: Auch wenn es das Kirchenasyl rechtlich nicht gibt, als Teil der Seelsorge hat es durchaus seine Berechtigung. Kirchenasyl sei keine politische, sondern eine seelsorgerliche Aufgabe, hält das SEK-Papier klar fest. «Dies fällt in einer sehr politisierten Diskussion oft unter den Tisch», sagt Autor Frank Mathwig, Beauftragter für Theologe und Ethik beim SEK.
Nicht rechtsfrei, nicht heilig
Im Zentrum steht die Frage, wie weit eine Kirche gegenüber dem Staat Schutz geniesst und Schutz gewähren kann. Kirchen sind keine rechtsfreien Räume und für Reformierte auch keine heiligen Orte. Der Schutz lasse sich aber damit begründen, dass der Kirchenraum als besonderer Ort der Seelsorge Anteil daran hat, was durch das Seelsorgegeheimnis geschützt wird. «Das wird vom Staat respektiert und darauf reagiert er mit Zurückhaltung», erklärt Mathwig.
In seinen Ausführungen geht der SEK nicht auf die jüngsten Vorfälle ein. Das Papier «Zufluchtsraum Kirche» sei «kein politisches Statement zu einer tagespolitischen Aktion», betont Mathwig. «Der Kirchenbund will die Kirchgemeinden dabei unterstützen, eine gemeinsame Lösung zu finden, wenn es darum geht, ob Kirchenasyl gewährt werden soll.» Für den SEK ist überdies klar: Die Kirchgemeinde als ganze muss das Kirchenasyl tragen. «Die Gewährung von Kirchenasyl kann nicht delegiert werden. Es kann nicht von Aktivistengruppen oder Asylsuchenden eigenmächtig definiert oder erklärt werden.»
Weil es sich beim Kirchenasyl um einen rechtlich nicht geregelten Vorgang handelt, empfiehlt der Kirchenbund den Verantwortlichen, den Kontakt zu den Behörden zu suchen. Mit verbindlichen Vereinbarungen verhinderten die Kirchen, dass sie instrumentalisiert werden, etwa durch Besetzung von Interessengruppen oder gar Enteignung durch den Staat. «Die Kirchen müssen auf ihrem Recht zur Selbstbestimmung als öffentlich-rechtliche Institution bestehen», sagt Mathwig.
Zu viele Warnungen
Das Dokument des SEK enthalte viele wichtige und grundsätzliche Informationen zum Kirchenasyl, sagt der Theologe Pierre Bühler. «Was es ist, woher es kommt, auf welchen biblisch-theologischen Grundlagen es beruht und in welchen Fällen es zur Anwendung kommen kann.» In diesem Sinne erstaune die Bezeichnung als «Entscheidungshilfe». «In vielen Hinsichten ist das Dokument des SEK auch ein Grundsatzpapier», findet Bühler. Es würden Kriterien und Minimalbedingungen formuliert, was sicher nützlich sei im Umgang mit konkreten Situationen in den Kirchgemeinden.
Bühler vermisst dennoch eine klare Einstellung zum Kirchenasyl, die sich viele Kirchenmitglieder wünschten. Obschon der SEK die Möglichkeit des Kirchenasyls anerkennt, höre er aus dem Dokument «viel Warnung vor Gefahren und möglichen Missbräuchen und wenig Ermutigung», bedauert Bühler. Das Thema Kirchenasyl dürfe man nicht den Kirchgemeinden überlassen, meint er zugleich. «Es fehlt mir ein Aufruf an die Kirchenleitungen. Sie müssten ermutigt werden, die betroffenen Kirchgemeinden zu begleiten, ihre Rolle als Mediatoren im Gespräch mit dem Staat zu erfüllen.» Da es um öffentliche Handlungen gehe, sei die Haltung eines Kirchenrats entscheidend, wie sich in Basel gezeigt habe.
Der emeritierte Theologieprofessor setzt sich in den letzten Jahren stark für eine Kirche ein, die sich mit den Flüchtlingen solidarisch zeigt, und hat den SEK deswegen auch schon kritisiert. Im Frühling verfasste Pierre Bühler das Manifest «Kirchen als Asylorte». Bühler sieht die Rolle einer Kirchenbesetzung nicht nur negativ: Aus einer Besetzung durch Aktivisten «kann für die Kirchgemeinde durchaus eine heilsame Herausforderung hervorgehen, wie sich etwa in Lausanne gezeigt hat». In dieser Situation sei es wichtig, dass die Kirchenleitung nicht nur negativ reagiere und rechtliche Massnahmen ergreife.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Karin Müller / Kirchenbote / 30. September 2016
Kirchenasyl ist Teil der Seelsorge