Karibikinsel auf dem Sprung ins 21. Jahrhundert
Touristen sitzen in den Restaurants an der Uferpromenade von Havanna. Sie sind gekommen, um das sozialistische Experiment in der Karibik noch zu sehen, bevor McDonald’s und Louis Vuitton in die baufälligen Palacios und Herrenhäuser einziehen.
Seit US-Präsident Barack Obama den kubanischen Präsidenten Raúl Castro getroffen hat und die jahrzehntelange Eiszeit zwischen den USA und Kuba zu Ende geht, vollzieht das Land einen politischen und gesellschaftlichen Wandel. Viele Kubanerinnen und Kubaner erhoffen sich von der Öffnung mehr Wohlstand. Doch sie fürchten, dass der Dollarsegen die Errungenschaften der Revolution wie das Bildungswesen, das Gesundheitswesen und die Solidarität wegfegen werde. «Wir wollen nicht wie andere Länder in Mittel- und Südamerika werden», meint einer der Kellner. «Diese enorme Kluft zwischen Reich und Arm, diese Kriminalität und Korruption!»
Die Kirchen geschlossen
Kuba ist in diesem Jahr das Schwerpunktland des Weltgebetstags, der am 4. März in den Gottesdiensten rund um die Welt gefeiert wird. Das Land befindet sich im Wandel. Nach der Revolution von 1959 übernahmen Fidel Castro und seine Genossen die Macht. Die USA verhängten ein Handelsembargo, das die Insel vom Westen abschnitt und zu Versorgungsengpässen führte. Kuba wurde zur kommunistischen Diktatur. Kirchen wurden geschlossen und politische Gegner eingesperrt. Als 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Versorgung durch den Bruderstaat ausblieb, geriet Kuba in eine wirtschaftliche und soziale Krise. Zehntausende, vor allem junge Menschen, sahen und sehen ihre Zukunft nicht mehr im Karibikstaat und wollen in die USA.
Meister der Improvisation
Mangelwirtschaft prägt seit Jahrzehnten den Alltag der Kubaner. Ihr Leben ist hart. Doch sie sind Meister der Improvisation. Das Einkommen reicht nicht weit. Die Lebensmittelkarten, die «Libreta», die seit 1962 den Inselbewohnern ihre Existenz sichern sollen, sind nicht mehr viel wert. Die meisten Kubanerinnen und Kubaner betreiben neben ihrer Anstellung ihre eigenen Geschäfte. Es sei nicht wichtig, was man an einer Stelle verdiene, sondern was man mit nach Hause nehmen könne, sagt eine 22-Jährige. Und erläutert das kubanische Wirtschaften an Beispielen: Ihre Tante, eine Ärztin, handelt im Spital noch mit Schuhen. Eine ihrer Kolleginnen gab ihren Beruf als Anwältin auf und arbeitet heute an einer Tankstelle. Am Abend füllt sie Benzin in Flaschen, die sie auf dem Schwarzmarkt verschachert. Anders sei das Überleben nicht möglich. Wer einen Job in der Tourismusbranche in einem der prächtigen Hotels an den Stränden von Varadero ergattert, gehört zu den Gutverdienenden. Er erhält alleine durch die Trinkgelder das Vielfache eines Akademikers.
Lieber BMW als Oldtimer
Westliche Technik fehlt in Kuba weitgehend, ausser die Verwandtschaft in Florida besorgt die Geräte. Die meisten Kubaner verfügen über keinen privaten Zugang ins Internet, man trifft sich in einem der zahlreichen Internetcafés. Liebevoll pflegen die Kubaner ihre Oldtimer. Säuberlich aufgereiht stehen die prachtvollen Buicks, Chevrolets und Cadillacs vor dem «Capitolo» in Havanna. Bestaunt von den Touristen, die von solchen Perlen träumen. «Er wünsche sich einen Golf oder einen BMW», sagt der Taxi-Fahrer. Das Wort BMW lässt er sich auf der Zunge zergehen. «Die chinesischen Autos, die man seit kurzem erstehen kann, taugen nichts. Halten nicht lange!», meint er und unterstreicht dies mit einer abfälligen Handbewegung, während er elegant eines der tiefen Schlaglöcher auf der Strasse umkurvt.
Stolz auf die Unabhängigkeit
Seit der Revolution sind Frauen im Inselstaat gleichberechtigt. Frauen sind in den meisten Berufen selbstverständlich. Lediglich im Politbüro, dem Machtzentrum, sitzt bloss eine Frau. Hier sind die alten Herren noch unter sich. Der Alltag der Frauen wird von traditionellen Bildern geprägt. Die meisten berufstätigen Kubanerinnen sind alleine verantwortlich für Haushalt, Kinder und die Pflege der betagten Angehörigen. Doch die wenigsten beklagen sich über diese Doppel- bis Dreifachbelastung. Sie sind stolz auf ihre Unabhängigkeit.
Protestanten in der Minderheit
Inzwischen hat sich auch die Lage für die Kirchen entspannt. Auf Kuba geben sich die Kirchenführer die Klinke in die Hand. Auf den Besuch von Papst Johannes Paul II. folgte Benedikt XVI. Vor kurzem traf Papst Franziskus den Patriarchen Kyrill I. in Havanna. Die Protestanten befinden sich in der Rolle einer Minderheit.
Die Musiker, die den Touristen aufspielen, stimmen «Hasta Siempre, Comandante» an, die Hymne auf den Revolutionär Che Guevara. Sein Konterfei wird auf der Insel wie eine Ikone verehrt. Vor 60 Jahren hätte der Comandante die Westler, die trunkselig in das Lied einstimmen, ins Meer getrieben.
Tilmann Zuber / Kirchenbote / 4. März 2016
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
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