News von der Glarner reformierten Landeskirche
Passionszeit

Judas, was hat dich dazu bewogen?

von Tilmann Zuber
min
11.04.2025
Ohne Judas gäbe es kein Kreuz, keine Auferstehung Christi und keine christliche Botschaft vom Sieg über den Tod. Doch bis heute gilt Judas Iskariot als der Erzvater des Verrats. Was hat den Jünger zu dieser Tat getrieben?

Was hast du getan, Judas Iskariot? Du warst Jünger und Weggefährte von Jesus und wurdest zum Erzvater aller Verräter, zum Verräter am Gottessohn. In Dantes «Göttlicher Komödie» zermalmt dich Luzifer zur Strafe in der untersten Höllentiefe mit seinen drei Mäulern.

In mittelalterlichen Passionsspielen wurdest du zum Hassobjekt des Volkes. Reformator Martin Luther übertrug diesen Hass auf das gesamte jüdische Volk. So wurdest du zum antijüdischen Motiv und Teil einer unheilvollen Geschichte, die in der Shoa endete.

Doch von Anfang an: Für dreissig Silberlinge hast du, Judas, den Nazarener an die Schriftgelehrten und an die Hohenpriester verraten. Dein Verrat geschah nicht durch einen hinterhältigen Mord oder eine anonyme Anzeige, heimlich in den Briefkasten gesteckt, sondern durch eine zärtliche Umarmung im Garten Gethsemane und einen Kuss auf seine Lippen, flüchtig hingehaucht und doch so fatal. Dieser Kuss war so tödlich wie das Gift der Schlange im Paradies. Jesus sah dich an, stumm, traurig, und sagte dir: «Tu es jetzt, es ist deine Zeit!»

Judas Iskariot, dein Ende war unrühmlich. Als dir klar wurde, was du getan hattest, brachtest du die Silberlinge reumütig zurück zu den Hohenpriestern und erhängtest dich. Andere berichten von deinem Unfall auf dem mit dem Geld gekauften Blutacker, dein Körper sei aufgebrochen und deine Eingeweide seien herausgequollen.

Judas Iskariot, was hat dich zum Verrat bewogen? War es die Gier nach Geld, die wir alle kennen und die uns ständig droht? Du hast die Kasse der Jünger verwaltet, ordentlich und beflissen wie all die Buchhalter und Banker auf dieser Welt. Du hast protestiert, als die anderen Jesus mit kostbarem Nardenöl salbten. Man hätte doch lieber das Öl verkauft und den Erlös an die Armen verteilt, sagtest du. Vergeblich. Man verdächtigte dich sogar als Dieb, der die Einkünfte veruntreute. Das muss dich tief verletzt haben. Judas, hast du nicht gehört, wie Jesus betete: «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen ...»?

Jesus sollte doch als Messias sein Volk von der Besatzung der Römer befreien und den Kampf anführen. Durch den Verrat wolltest du ihn zwingen, sich mit göttlicher Macht als der Retter Israels zu zeigen.

Warst du vom Menschensohn enttäuscht? Er predigte und predigte sich in die Herzen der Menschen. Er sprach von Liebe und Vergebung, entwarf Visionen vom Reich Gottes wie Luftschlösser, die sich am nächsten Tag im Nichts auflösten, und veranstaltete Wunder wie ein Gaukler auf dem Jahrmarkt. Du standest daneben, begeistert und euphorisch, und spürtest, wie die Enttäuschung in dir aufstieg, dunkel und bohrend wie ein dumpfer Schmerz. Gegen das Leid auf der Welt, die römischen Besatzer, die Reichen, die die Armen verhöhnten, tat Jesus aus Nazareth nichts. Er war doch der lang ersehnte Messias, der Sohn Gottes. Er sollte doch sein Volk von der Besatzung der Römer befreien und den Kampf anführen. Durch den Verrat wolltest du ihn zwingen, sich mit göttlicher Macht als der Retter Israels zu zeigen. Doch zuletzt sahst du nur einen Sterblichen, der am Kreuz qualvoll endete.

Judas, hast du dich so getäuscht? Judas, bis heute giltst du als Inbegriff des Verräters – und bist uns so ähnlich. Doch ohne dich gäbe es kein Kreuz, keine Auferstehung und keinen Sieg über den Tod. Judas Iskariot, du suchtest das Böse, und durch dich hat sich gezeigt, dass das Böse nicht das letzte Wort auf dieser Welt hat.

 

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