Je langsamer, desto schneller
Kennen Sie die Geschichte von Momo, der Schildkröte und Meister Hora? Das war ein Kinderbuchbestseller als ich ein Kind war. Grob gesagt geht es in der Geschichte von Michael Ende um das Thema Zeit. Graue Herren stehlen den Menschen die Zeit und diese werden immer hektischer und haben keine Zeit mehr für irgendwas. Mitten durch dieses Hetzen durch die Zeit begegnen wir zwei Wanderinnen: Momo und der Schildkröte Kassiopaia. Sie sind auf dem Weg zu Meister Hora, dem alten weisen Mann, der durch eine Stundenbrille die Menschen beobachten kann. Ihm gehört Kassiopaia, die Schildkröte. Sie nimmt es gemütlich und sogar Momo wird ungeduldig, obwohl doch alle wissen, dass sie sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und so gut zuhören kann. Wenn nur die Schildkröte nicht immer so langsam krabbeln würde. Aber Kassiopaia, die Schildkröte, läuft ganz gemächlich weiter. „Je langsamer, desto schneller“. Das ist ihr Motto, das Motto eines Tieres, das einen so geringen Herzschlag hat, dass es viel älter wird als wir Menschen. Zum Beispiel wurde Harriet, eine Galapagos-Schildkröte aus dem Australia Zoo, stolze 176 Jahre alt.
Wenn aber nach der Schule die Hausaufgaben drücken und in einer Stunde schon der Kindergeburtstag ruft, während der Kleine noch aus der Krippe abgeholt werden muss, bevor dann noch schnell das Abendessen zubereitet wird, wenn im Familienkalender mal wieder kaum Zeit ist, um sich mit Freunden zu treffen, dann ist das so eine Sache mit einem so schönen Motto. Vielleicht denken das ja besonders die Mütter und Väter mit ihren noch nicht erwachsenen Kindern. Immerhin war ja Muttertag und wir sollten einen Blick auf sie richten. Wenn Sie mal einen Tag Zeit hätten, was würden Sie tun?
Zeit haben, das erlebt die Eine anders als der Andere. Für den Einen ist eine Stunde viel zu kurz, um alles hineinzupacken, was zu tun ist. Für die Andere zieht sich eine Stunde wie ein Kaugummi. Und doch Stunde bleibt Stunde. Zeit ist also sehr individuell. Momo ist sehr weise, kindlich weise und vielleicht naiv – sie nimmt sich Zeit. Sie weiss, es gibt eine Zeit zum Spielen und eine Zeit zum Lernen. Es gibt eine Zeit zum Gehen und zum Stehen, zum Reden und zum Schweigen. Die grauen Herren um sie herum, kennen nur Aktivität, keine Ruhe, keine Musse.
Mir fiel, als ich an Momo dachte und an die Zeit und an das Zeitnehmen, eine Geschichte mit Jesus ein. Da sind zwei Frauen: Maria heisst die eine und Martha die andere. Marta ist eine richtig gute Hausfrau. Als sie hört, dass Jesus kommt, da fängt sie an das Haus zu putzen, einzukaufen, vorzubereiten, zu kochen. Und als Jesus da ist, da blitzt und blinkt alles und es duftet köstlich. Maria ist sonst auch nicht schlecht im Haushalt. Aber heute denkt sie sich, nehme ich mir Zeit, Zeit um Jesus zu zuhören. Und sie setzt sich hin und unterhält sich mit Jesus. Marta ist ziemlich sauer darüber und sie beschwert sich bei Jesus. „Findest du es gut, dass ich hier schufte, während meine liebe Schwester nur dahockt und dir zuhört?“ Jesus, denkt sie sich, findet das bestimmt auch ungerecht. Aber Jesus sieht das etwas anders. Er findet, dass es viel schöner ist, dass Maria sich Zeit nimmt, dass sie sich hinhockt und mit ihm redet.
Also all die Mühe nichts wert, mit der wir uns täglich abmühen? Nun, sicher nicht, aber Momo und Maria machen es uns etwas vor. Zeit schenken ist viel wert. Sich Zeit nehmen genauso. Und wirklich, für sich Zeit nehmen ist unendlich wertvoll, das heisst, auch mal faul sein dürfen, die Sonne genießen, eine Coachpotato zu sein, das ist erlaubt und das ist wichtig. Dass das im Alltag nicht immer geht, dass die Zeit rennt und schon bald wieder der Sommer, der Herbst und das Jahr vorbei ist und wir es wieder nicht mitbekommen haben, das ist leider so.
Aber vielleicht gelingt es uns ja, mal einen Gang zurückzuschalten, allen zusammen in der Familie. Vielleicht kann man ja mal den Familienkalender überarbeiten und schauen, wo was zu streichen ist und somit die Zeit etwas anhalten. Unsere Zeit steht in Gottes Händen und bei Gott, so steht in der Bibel, ist eine Stunde wie hundert Jahre. Oder anders, wie es an einem Haus in Ennetbüehl in Ennenda steht: „Als Gott die Zeit erschuf meinte er nicht die Eile“. Also, je langsamer desto schneller. Ein gutes Motto für das Muttertagswochenende und darüber hinaus.
Amen.
Je langsamer, desto schneller