News von der Glarner reformierten Landeskirche
Zuwendung in der Medizin

Jan Bonhoeffer: «Liebe ist die Lebenskraft schlechthin»

von Wolf Südbeck-Baur
min
08.04.2025
«Die herzbasierte Medizin misst der Zuwendung entscheidende Bedeutung beim Heilungsprozess bei», sagt der Basler Kinderarzt Jan Bonhoeffer. Seine Haltung ist geprägt von seinem berühmten Grossonkel Dietrich Bonhoeffer.

Es sind die Kinder, die zu den wichtigsten Lehrern des Basler Pädiatrie-Professors Jan Bonhoeffer gehören. «Während 25 Jahren Kinderheilkunde und Begegnungen am Patientenbett hat mir noch nie ein Kind gesagt, danke, lieber Doktor, dass du meine Pneumokokken in der Lunge mit einem Antibiotikum erschlagen hast, jetzt geht es mir viel besser», erzählt der begeisterte Kinderarzt im Gespräch. «Die Kinder sagen aber, ‹ich habe es gestern Nacht überlebt, weil mir die Pflegende Tina die Hand gehalten hat, als ich am ganzen Körper gezittert habe›. Oder, ‹meine Mutter hat mir die Kraft gegeben, als sie an meinem Bett sass, in der schwierigen Zeit durchzuhalten›.»

Zuwendung und Liebe

Aufgrund solcher Erfahrungen der Wirkung liebevoller Zuwendung ist Bonhoeffer überzeugt, dass der «tiefere Heilungsprozess auf der Ebene von Zuwendung und Liebe stattfindet». Diese Herzensebene beschreibt der Infektiologe näher als «Verbundenheit mit sich, mit nahestehenden Personen, mit Betreuenden und auch in der Verbundenheit mit etwas Grösserem, das die eigene Endlichkeit übersteigt.» Sich eingebunden, aufgehoben und geborgen fühlen, sind für Bonhoeffer «Momente der Verbundenheit in Liebe, die für den Heilungsprozess entscheidend sind». «Liebe ist für mich die Lebenskraft schlechthin, ein innerer Zustand, der nichts mit Emotion zu tun hat», betont Bonhoeffer. Liebe beschreibt er als «ein Feld, das existiert und auf das ich mich einlassen kann». Wie Musik sei Liebe ein resonantes Feld.

Liebe braucht nicht mehr Zeit, sondern mehr Qualität.

Was die Umsetzung dieses Ansatzes der herzbasierten Medizin anbelangt, gibt der Mitgründer des Basler Youkidoc Centers, eines medizinisch-therapeutischen Gesundheitszentrums für Kinder und Jugendliche, zu bedenken, «dass Liebe nicht mehr Zeit braucht, sondern mehr Qualität. Wenn sich ein Patient wahrgenommen fühlt, komme ich enorm viel schneller ans Ziel.» Die Patienten merkten, dass die Fachpersonen echt an ihnen interessiert sind und sie nicht als eine Nummer oder ein technisch zu lösendes Problem sehen. «Resultat: Das spart viel Zeit, weil beide das gleiche Ziel haben und eine vertrauensvolle Verbindung zwischen ihnen besteht.»

Dietrich Bonhoeffers Einfluss

Auf die Frage, welchen Einfluss sein weltbekannter Grossonkel, Theologe Dietrich Bonhoeffer, auf seine religiöse Haltung hat, erklärt Jan Bonhoeffer, es sei in der Familie primär um Menschlichkeit und intellektuelle Redlichkeit gegangen. Die Haltung in der Familie und die Herausforderungen der Gegenwart hätten Bonhoeffers Theologie stark beeinflusst. Es ging um die Frage, was gelebtes Christentum im damaligen Alltag hiess. Dietrich gehörte wie sein Bruder Klaus zur Gruppe des versuchten Staatsstreichs vom 20. Juli 1944. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im KZ-Flossenbürg von den Nazis erhängt. 

Die Ethik der Nachfolge Jesu wurde ja in letzter Konsequenz von allen gelebt, und zwar ohne jeden Märtyrer-Anspruch.

Und noch eines ist für Jan Bonhoeffer zentral: «Es ist weniger Dietrichs theologisches Vermächtnis als vielmehr die innere Haltung, die unsere Familie geprägt hat. Mit liebevoller Zuwendung, Achtsamkeit und Empathie durfte ich gross werden und Liebe schätzen lernen als nährendes Kraftfeld jenseits des Gefühls», beschreibt der Mediziner seine Haltung.

Lange habe er versucht, sich «freizuschwimmen von der Familiengeschichte als einer Bürde». So beginne er erst jetzt, «bewusst und strukturiert zur Kenntnis zu nehmen, was Dietrich theologisch über Liebe gesagt hat». Genau das ermutige ihn bei der Fertigstellung eines Buches über Liebe, das noch dieses Jahr herauskommen soll. «Ich wünschte, ich hätte diese Literatur früher zur Kenntnis genommen», sagt Jan Bonhoeffer offen. Umso mehr staune er über das, «was ich finde, und mein Herz strahlt und beginnt dem Törichten zu vergeben, der sich vieles auf Umwegen hat erringen müssen.» Die bereichernde Reise gehe weiter.

 

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