«In der Krise reagiert man extremer»
Wer in der Landeskirche mitarbeitet, soll wissen, wann die Unversehrtheit einer Persönlichkeit verletzt werden könnte. Das könnte schneller passieren als vermutet, und Monica Kunz führt aus: «Es können Übergriffe psychischer, geistlicher oder sexueller Art sein – im Pflegebereich und am Arbeitsplatz oder aber auch im Unterricht, in einem Lager oder einer Ferienwoche.»
Nähe ist ein Grundbedürfnis
In ihrer Arbeit als Mediatorin, Coachingfachfrau und unabhängige Ansprechperson bei Grenzverletzungen in der Landeskirche geht es ihr darum, Betroffenen Hilfestellungen zu bieten. Ebenso wurde sie beauftragt, die Angestellten und Freiwilligen der Landeskirche in Kursen zu sensibilisieren, welche Hintergründe und Dynamiken zu Grenzverletzungen führen können. Für die Mitarbeitenden sei es wichtig, darüber nachzudenken, wie viel Nähe man selber brauche. Es gebe unterschiedliche Typen von Menschen: Die einen hätten lieber mehr Nähe und weniger Distanz. Ebenso könne man bei Persönlichkeiten unterscheiden zwischen den eher strukturierten und beständigen und jenen, die das Neue und den Wechsel bevorzugen. Und doch: Bei allen sei Nähe ein Grundbedürfnis.
Zu einem «ok» finden
Es sei wichtig, ein «‹ok› zu finden zu der eigenen Ausprägung», so Kunz. Das sei eine gute Grundlage für die Herausforderungen, die in der Zusammenarbeit entstehen, denn: «In der Krise reagiert man extremer.» Das weiss Monica Kunz auch aus ihrer langjährigen Tätigkeit bei der Kantonspolizei Thurgau, wo sie die Fachstelle Gewaltprävention betreute. Es müsse aber nicht gleich offensichtliche Gewalt sein, betont sie: «Wir müssen in der Seelsorgearbeit, im Besuchsdienst oder im Religionsunterricht wissen, dass wir uns stets ‹selber mitnehmen› und im Stress Dinge tun, die unter Umständen aus Sicht von Nähe und Distanz nicht ganz optimal sind.» Da stelle sich auch die Frage, wie man selber mit Mangel und Frustration umgehe.
Prävention ist wichtig
Kunz ermuntert dazu, im eigenen Beziehungsumfeld herauszufinden, wie die eigene Persönlichkeit ausgeprägt ist. Gerade wenn es im kirchlichen Umfeld um Beziehungen mit nicht gleichgestellten Personen gehe, sei dies sehr hilfreich, denn: Sehr schnell werde mit unbedachten Umarmungen oder Einladungen eine Grenze überschritten, die für andere problematisch sein kann. Deshalb sei die Prävention besonders bedeutsam: Man dürfe nicht zu lange zuschauen, sondern müsse ungute Handlungen sofort thematisieren – schon bei Kindern. In einem Kurs hörte sie von einem Thurgauer Kindergärtler eine Definition, die ihr imponierte und die sie in der Präventionsarbeit gerne weitergibt: «Gewalt ist dann, wenn man jemanden klein macht, um selber gross zu sein.»
Tempo raus und Opfer schützen
Sollte es doch einmal zu einem kritischen Fall kommen, der Potenzial hat, zu einer Krise auszuarten, dürfe man nie allein intervenieren. Und es gelte die Devise «Tempo raus». Jeder Schritt müsse wohl überlegt sein, und es gelte primär, das Opfer zu schützen. Nebst der Anlaufstelle bei der Landeskirche könne es auch hilfreich sein, mit der Opferhilfe in Verbindung zu treten.
Roman Salzmann, kirchenbote-online
Kurs: «Nähe und Distanz» mit Monica Kunz: Frauenfeld, 10. Mai, 8.45 bis 11.45 Uhr
Neues Buch: «Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Kontexten», Theologische Fakultät Universität Bern
«In der Krise reagiert man extremer»