«Ich gönne meinen Kindern Religionsunterricht»
Herr Steiner, in den letzten Monaten waren Sie in Radio, TV und Presse omnipräsent. Zählen Sie Ihre Auftritte eigentlich mit?
Ich habe sie nicht gezählt. Dutzende Male werden es wohl gewesen sein.
Bislang kamen 260’000 Zuschauer in die Kinos. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Meine Erwartungen wurden mehr als übertroffen.
Die einzige bittere Pille dürfte sein, dass Ihr Film «Mein Name ist Eugen» noch mehr Zuschauer anlockte, genau 580’000. Ist es schwierig, wenn man den eigenen Erfolg nicht mehr toppen kann?
Die Frage ist, was man von einer Verfilmung erwartet. «Mein Name ist Eugen» ist schweizerisches Kulturgut, alle Generationen kennen das Buch. «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» hingegen erzählt eine Geschichte, welche von einer Minorität der Stadt Zürich handelt. Ich wollte aber genau diese Geschichte verfilmen, weil ich sie trotz des Lokalkolorits als universell betrachte. Das Schweizer Fernsehen ging davon aus, der Film würde nur in Zürich auf Interesse stossen und maximal 60’000 Zuschauer anlocken.
Können Sie uns ein wenig zu den Eckdaten sagen. Wie viel kostete der Film? Wie lange dauerte die Produktion?
Ich arbeitete rund zwei Jahre daran. Die Kosten lagen bei drei Millionen Franken.
Haben Sie damit den Grundstein für Ihren Reichtum gelegt?
Mit kreativen Jobs kann man in der Schweiz nicht reich werden. Dafür ist der Kinomarkt für einheimische Filme zu klein. Ich hätte Banker werden oder als Regisseur im Ausland arbeiten müssen, um reich zu werden. Das wollte ich bislang nicht, weil ich gerne Geschichten aus meiner Umgebung erzähle.
Sie mussten sich gegen den Vorwurf wehren, Ihr Film sei antisemitisch. Polemik oder liegt auch ein Körnchen Wahrheit darin?
Das ist mediale Polemik, die auf vereinzelter Kritik aus dem orthodoxen Lager beruht. Die Geschichte eines Aussteigers widerspricht natürlich dem Idealbild dieser Gemeinschaft und entspricht unserer säkularen Weltanschauung. Die meisten jüdischen Mitbürger sahen aber, dass mein Film den Blick öffnet und Verständnis generiert. Zusammenleben funktioniert nur dann, wenn man ohne Berührungsängste aufeinander zugeht. Je mehr man auf die Unterschiede fokussiert, desto grösser wird der Graben. Wie bei der Minarett-Abstimmung, als eine Thurgauer Gemeinde die meisten Befürworter hatte, obwohl dort kein Muslim lebt. Mir ist es ein Anliegen, die Angst vor dem Fremden zu nehmen. Wenn man das mit einer universellen Mutter-Sohn Geschichte machen kann, umso besser.
Welche Filme würden Sie gern noch drehen?
Ich möchte eine Serie über das Schweizer Söldnertum, die sogenannten Reisläufer, drehen. Im Mittelalter haben Innerschweizer Vögte eigene Privatarmeen gezüchtet und in ganz Europa verkauft. Aus diesem Geschäft entstand die Papstgarde. Momentan schreibe ich einen Thriller über Blutrache. Auch da steht ein Kulturkonflikt im Zentrum der Geschichte.
Passiert es häufig, dass Ihnen jemand sein Drehbuch andrehen will?
Es gibt Menschen, die mit einer Geschichte auf mich zukommen, die man unbedingt verfilmen sollte. Ich höre da immer interessiert zu, denn ich liebe Geschichten. Dann bitte ich die Erzähler, ihre Geschichte auf fünf bis zehn Seiten niederzuschreiben und mir zu senden. Die wenigsten setzen sich hin und schreiben ihre Geschichte auf. Somit selektionieren sich die Filmideen aus dem Volk von alleine.
Lesen Sie die Geschichten dann auch, die Ihnen geschickt werden?
Ja. Oft sind sie sogar spannend. Wenn sie gesellschaftspolitisch relevant sind, verfolge ich sie weiter.
Warum dauerte es sechs Jahre, bis Sie nach dem Missen-Massaker wieder einen Film gedreht haben?
Zum einen hatte ich keine Angebote, zum anderen wurden meine eigenen Projekte abgelehnt, so dass ich diese Filme nicht drehen konnte.
Klingt nach einer finanziell schwierigen Zeit?
Das war schwierig. Ich habe allerdings von 2012 bis 2016 in Südostasien gelebt, dadurch fiel es etwas leichter, eine Familie zu ernähren.
Vier Jahre nach Ihrer Auswanderung kamen Sie wieder zurück. Weshalb?
Es war immer klar, dass die Kinder in der Schweiz zur Schule gehen. Das Bildungssystem ist hervorragend, zudem bietet unser Land alle Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung.
Erlauben Sie, wenn ich Goethe zitiere? «Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion»?
Ich bin katholisch erzogen worden und noch nicht aus der Kirche ausgetreten. Ich würde mich als Agnostiker bezeichnen. Ich glaube nicht an eine höhere Macht und sehe religiöse Schriften als moralische Konzepte, die es auch kritisch zu betrachten gilt.
Agnostiker gehen davon aus, dass sich die Existenz oder auch Nichtexistenz Gottes nicht beweisen lässt. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube nicht an ein individuelles Weiterleben nach dem Tod. Vielleicht gibt es eine Art von Energie. Aber darüber nachzudenken ist müssig, denn wie alle Menschen werde ich das Jenseits erfahren, oder eben nicht.
Geben Sie Ihre agnostische Haltung auch an Ihre Kinder weiter?
Nein, ich gönne ihnen Religionsunterricht. Prinzipiell bin ich mit den Werten des Christentums einverstanden. Die katholischen Kirchen sind für Analphabeten gebaut worden und vermitteln die Bibel in Bildern. Als Kind waren diese Bilder mein Zugang in eine Parallelwelt während der Messe, da ich nicht verstand, was der Pfarrer predigte.
Sie haben in Ihrem Leben schon einige Tiefschläge eingesteckt. Sie wurden im Jahr 2009 Ziel einer Medienkampagne der «Weltwoche», Ihre Filmgesellschaft stand vor der Pleite. Wie erlebten Sie diese Zeit?
Als belastend. Mein Name stand für seriöse und erfolgreiche Filmkunst und plötzlich war der Vorwurf im Raum, ich hätte staatliche Fördergelder für Kokain und Callgirls missbraucht.
Was ist tatsächlich dran an diesen Vorwürfen?
Ich würde nie Fördergelder missbrauchen, im Gegenteil. Ich habe mehrmals meine Gage in Filme investiert, um sie bestmöglich hinzukriegen. Aber die Wahrheit interessiert in meinem Fall gar nicht, deswegen fragen Sie mich ja immer noch danach, also zehn Jahre später, weil Koks und Callgirls natürlich attraktiver tönen, als die wahren Gründe. Mit dieser Story erhielt ich den Badboy-Stempel, der mich noch bekannter machte.
Klingt ein wenig, als hätten Sie sich ihrem Schicksal ergeben, nach dem Motto, ist der Ruf mal ruiniert …?
Ich brauchte einige Jahre, um zu lernen, wie ich damit umgehe, dass das Bild von mir auch eine Projektion ist, welche viele Farben hat, die nicht mit meinem realen Ich übereinstimmen.
Zum Schluss noch etwas anderes. Ihre Ehe ist gescheitert. Glauben Sie noch an die Liebe?
Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.
Ich frage anders. Glauben Sie an eine Beziehung auf Dauer?
Ich glaube, dass die Liebe für den Menschen das einzige ist, woran er sich im Leben halten kann. Die Liebe unterscheidet uns vom Tier.
Carmen Schirm-Gasser, kirchenbote-online, 12. Februar 2019
«Ich gönne meinen Kindern Religionsunterricht»