«Herr Gott, hilf!»
Von Martin Zimmermann, Mitlödi
Im Kirchengesangbuch ist ein einziges Lied von Huldrych Zwingli abgedruckt: «Herr nun selbst den Wagen halt». Es ist ein Hilferuf in Zeiten von Unsicherheit, Gewalt und Not, wie sie die turbulente Zeit der Reformation mit sich brachte. Ein Hilferuf, den auch Zwinglis erste Worte jeder Strophe zusammen ergeben:
«Herr Gott, hilf».
Gut möglich, dass das Lied auch einem Bekannten Huldrych Zwinglis vertraut war, dem Organisten Hans Kotter. Und noch wahrscheinlicher, dass Kotter die drei Worte immer wieder über die Lippen kamen, angesichts seiner Biografie. Um 1480 wurde er in Strassburg geboren und er muss ein ausserordentlich begabter Organist gewesen sein. Er wirkte am Oberrhein und wurde im Jahr 1515 auf eine Stelle auf Lebenszeit an der Stiftskirche St. Nikolaus in Freiburg im Üechtland berufen. Sein Karrierenglück schien perfekt; Kotter schrieb einem Freund, dass «ich frisch und gesundt lebe, ouch ein glucklichen anfang zuo Fribourg entphfinde; deßglichen ich gnaedige und gunstige hern hab…».
Dann kam die Reformation. Wie in jeder Stadt bildeten sich auch in Freiburg Parteien von Befürworten und Gegnern. Kotter, ein Kind der fortschrittlichen Buchdruckerstadt Strassburg, schloss sich den humanistischen Kreisen Freiburgs an und bekannte sich glühend zur Reformation. Dem Rat der Stadt Freiburg wurden die reformatorischen Bestrebungen mehr und mehr ein Dorn im Auge, und er griff ein. 1530 traf es Hans Kotter, wie der Chronist Valerius Anshelm festhielt: Er wurde «umbs gloubens willen mit gefenknus und mit dem Hemker geschmaecht […] und getrungen, ire stat und land ehewig und one gnad ze verschweren», kurzum: ins Gefängnis geworfen, gefoltert und aus der Stadt verjagt. Kotter wanderte weiter. In Zwinglis Einflussgebiet waren die Orgeln aus ideologischen Gründen bereits ausgebaut worden. Die letzte Hoffnung auf eine Orgelstelle am Oberrhein zerschlug sich ebenfalls aus unbekannten Gründen. Schliesslich liess sich Kotter in Bern nieder, wo er bis zu seinem Tod 1541 als einfacher «Leermeister» wirkte. Sein letztes Werk «Aus tiefer Not schrei ich zu Dir» mag ein Zeugnis seines bitteren Lebenslaufes sein.
Und heute? Einige Anzeichen lassen befüchten, dass turbulente Zeiten auf uns zukommen könnten. Dass sie nicht zum ideologischen Streit und Hass untereinander ausarten, liegt nicht zuletzt an uns. Lassen wir uns nicht blenden und erhitzen, sondern uns auf die wesentlichen Fragen des Lebens konzentrieren, wie sie – vielfältig verpackt – in der Bibel zu finden sind. Und in besonders dunklen Momenten könnte uns Zwinglis Lied beistehen.
«Herr Gott, hilf!»