«Greta Thunberg hat einen Nerv getroffen»
Kurt Zaugg, zurzeit streiken in der Schweiz mehr als 22 000 Schülerinnen und Schüler für eine klimagerechte Politik. Der Verein oeku Kirche und Umwelt fordert seit Jahren das Gleiche. Fühlen Sie sich bestätigt?
Wir sind sehr froh, dass eine solche Bewegung in Gang kommt. Das war schon lange fällig, aber die Trägheit in der Gesellschaft war zu gross. Die junge Generation wird sich bewusst, dass der Klimawandel ihr Leben massiv verändern wird. Die Jugendlichen fangen an, sich dagegen zu wehren. Und sie haben recht.
Sie verstehen diese Schülerinnen und Schüler?
Ja, meine Tochter beteiligt sich auch daran. Ich befürworte dies, in aller Widersprüchlichkeit, die ich auch feststelle, wenn die gleichen Jugendlichen, die jetzt auf die Strasse gehen, in der Welt herumfliegen. Viele haben jetzt erkannt, dass das nicht mehr möglich sein wird, wenn man den Klimawandel in den Griff bekommen will.
Findet in der Gesellschaft ein Meinungsumschwung statt?
Ich hoffe, dass der Schülerstreik dazu beiträgt. Wenn die Kinder ihren Eltern erklären, dass sie ihnen die Zukunft stehlen, wird das Folgen haben. Das sind die Aussagen von Greta Thunberg, mit denen alles begann und die eingeschlagen haben. Die junge Schwedin hat mit ihrem Schulstreik bewirkt, dass so viele weltweit mitmachen. Sie hat einen Nerv getroffen.
Kann dieser Protest die Politik ändern? Lassen sich die Politiker dadurch beeindrucken?
Im Moment ist es schwierig, Vorhersagen zu machen. Die Oeku setzt sich seit vielen Jahren in der «Klima-Allianz» ein, aber eine solche Bewegung wie jetzt gab es noch nie. Ich habe den Eindruck, da kommt etwas in Gang, das die Politik beeinflussen wird. Wie nachhaltig das sein wird, werden wir sehen.
Der Lackmustest beim Klimaschutz ist die Frage des Fliegens, das enorm zum CO2-Ausstoss beiträgt. Sind die Jugendlichen wirklich bereit, auf ihre Städteflüge und Reisen durch die Welt zu verzichten?
Die Schüler, die jetzt auf die Strasse gehen, realisieren, dass ihr Verhalten einen Einfluss auf das Klima hat. Unsere Tochter organisiert mit anderen eine Klassenreise und sie achten darauf, dass sie mit dem Zug fahren. Sie üben praktisch, wie man anders reisen könnte. Ich weiss aber, dass viele ihrer Kolleginnen und Kollegen mehrmals jährlich fliegen. Solange man sich das finanziell leisten kann, wird man es wohl auch tun.
Die kirchlichen Hilfswerke rufen dazu auf, sich dem Protest der Jugendlichen anzuschliessen. Ist dies sinnvoll?
Brot für alle, Fastenopfer und alliance sud arbeiten mit uns seit vielen Jahren in der «Klima-Allianz» zusammen. Wir wollen die Schüler in ihren Anliegen unterstützen und sie nicht alleine lassen. An der letzten Sitzung der «Klima-Allianz» nahmen Jugendliche vom Schülerstreik teil. Sie erklärten uns, dass sie ihren Protest nicht alleine durchziehen können und dankbar sind, wenn auch die Erwachsenen ihre Botschaft hören und mittragen.
Sollte sich die Kirche stärker an solchen Protestbewegungen beteiligen?
Sicher. Mein Kollege nahm kürzlich an der Kappeler Kirchentagung teil. Die Mitglieder der Kirchenpflegen diskutierten das Thema Umwelt intensiv, sie sehen in Sachen Klima dringenden Handlungsbedarf.
Da wird sich in der Kirche in Bezug auf Umweltschutz einiges ändern?
Ich hoffe es. Der Aufruf zur Bewahrung der Schöpfung geschieht leider oftmals rascher als der persönliche Wandel und die praktische Umsetzung. Aber ich denke, dass Umweltanliegen an Boden gewinnen werden. Es geht darum, eine positive Hoffnung für die Zukunft zu haben. Dafür treten die Kirchen doch eigentlich ein.
Zum Schluss: Waldsterben in den 80er-Jahren, Ozonloch in den 90ern und jetzt die Erderwärmung. Was sagen Sie den Kritikern, die behaupten, der Klimawandel sei Panikmache und werde in zehn Jahren kein Thema mehr sein?
Es gab schon Mitte des letzten Jahrhunderts Wissenschaftler, die vor der Erderwärmung gewarnt haben. Jahrzehnt für Jahrzehnt ist der Klimawandel stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Mit den Hitzewellen, den Extremwetterlagen der letzten Jahre und dem Abschmelzen der Gletscher spüren wir heute alle, dass sich etwas tut. Die Kritiker täuschen sich, wenn sie meinen, das werde einfach vorbeigehen.
Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 4. Februar 2019
«Greta Thunberg hat einen Nerv getroffen»