Eine Herausforderung? Glauben früher denke ich, war da wohl einfacher. Die meisten Menschen waren in einer Glaubensgemeinschaft beheimatet, fanden darin Halt und Geborgenheit. Die Regeln, Traditionen gaben in fast allen Lebenssituationen, Hinweise und Unterstützung wie damit umzugehen ist. Kirchenlieder wurden von den Gottesdienst Besuchenden mit Inbrunst und auswendig gesungen. Psalmen und Sprüche aus der Bibel bewusst gewählt und eingeprägt, um in Krisenzeiten darauf zurückzugreifen.
Vor ein paar Jahren habe ich beim Aufräumen des Heubodens auf unserer Alp eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Lag doch ganz im Verborgenen auf einem Dachbalken, verstaubt, nach Heu und Stall duftend, eine Bibel mit einer Widmung von 1842. Wieviel musste diese dem längst verstorbenen Besitzer bedeutet haben, dass er sie mit auf die Alp nahm, zumal sie sehr gebraucht aus sah?
Wer bin ich? "Ich bin ein Mensch, der eine spirituelle Erfahrung macht.“ „Ich bin ein spirituelles Wesen, dass eine menschliche Erfahrung macht.“ Mit diesen Worten habe ich die Teilnehmenden begrüsst in der Weiterbildung Spiritual Care (für die Seele sorgen in der Begleitung schwer kranker oder sterbender Menschen). Mir war es ein grosses Anliegen, den Teilnehmenden aufzuzeigen, wie vielfältig die Menschen in der heutigen Zeit ihre Spiritualität leben. Die fünf grossen Weltreligionen, abrahamitischen und indischen Ursprungs, die Humanisten, meist echte Atheisten oder Agnostiker.
Als Pflegefachfrau habe ich viele Menschen im Sterben begleitet und immer wieder die Erfahrung gemacht, am Schluss unseres irdischen Dasein beschäftigen die Fragen:„ Wer bin ich? Wozu lebe ich? Wo komme ich her – wohin gehe ich?“ Sterben ist eine Aufgabe des Lebens. So gesehen hat jeder Mensch spirituelle Bedürfnisse und jede Religion hat ihre Spiritualität. Von ganzen Herzen wünsche ich mir und Ihnen liebe Lesende, dass wir auf unsrem letzten Lebensabschnitt die Gewissheit erlangt haben, dass uns haltende Hände auffangen und ins Licht tragen. Vertrauen, dass da wo wir hergekommen sind, auch wieder zurückkehren. Als kleines Körnchen eines grossen Ganzen und somit nie verloren sind.
Erika Rhyner
Glauben früher, Glauben heute