News von der Glarner reformierten Landeskirche

Gewinnen immer die Richtigen?

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21.06.2021
Fussball bedeutet Emotionen, Kampf und Dramatik. Mitten im Geschehen steht der Schiedsrichter. Fedayi San leitet seit Jahren Partien und wurde für den Dokumentarfilm «Das Spiel» mit Mikrofonen verkabelt.

Fedayi San, wie würden Sie Ihre Rolle als Schiedsrichter umschreiben? Sind Sie Richter, Lehrer oder gar Gott auf dem Fussballplatz?
Als Spielleiter oder Richter. Unsere Rolle ist, die Spieler zu schützen, Fouls zu pfeifen und Spieler zu bestrafen, wenn sie gegen Regeln verstossen.

Was ist der Reiz, dass Sie Woche für Woche auf dem Fussballplatz stehen?
Am Anfang war es für mich ein Hobby. Ich hatte Fussball gespielt, bis ich merkte, dass ich nicht sonderlich begabt bin. So wechselte ich die Fronten, wurde Schiedsrichter und stellte fest, ich habe Potential. So wurde es zum Job. Die Karriere des Schiedsrichters ist ein langwieriger Prozess, man bildet sich ständig weiter, bis man über einen grossen Erfahrungsrucksack verfügt.

Es gibt auch die Schattenseiten: Schiedsrichter werden von den Spielern und den Fans dumm angemacht.
Ja, deshalb gibt man jedoch nicht auf. Schiedsrichter ist ein Job wie Polizist oder Politiker. Auch sie werden beleidigt und blöd angemacht.

Wie gelingt es Ihnen, sich Respekt zu verschaffen?
Meine Stärke ist, dass ich die Sprache der Spieler spreche und ihnen im gleichen Ton antworten kann. Ich variiere den Umgang mit den Spielern je nach Situation. Wenn ich spüre, dass einer die Nähe braucht, dann gebe ich ihm diese Nähe. Den Respekt muss man sich über Jahre erarbeiten, indem man regelmässig auf dem Fussballplatz steht und beweist, dass man seinen Job beherrscht. Die Spieler kennen mich, meine Stärken und Schwächen. Und auch ich weiss, wie ich sie behandeln muss.

Ein Spieler brüllt Sie an. Was tun Sie?
Es gibt einen Trick, der wirkt: Wenn mich ein Spieler anschreit, dann antworte ich ruhig: Ich höre gut, Sie können mit mir normal reden. Sofort fährt er die Emotionen runter. Natürlich gibt es Spieler, die dies nicht akzeptieren. Ich lasse sie schreien und nehme sie mir zur Brust, sobald sie sich beruhigt haben.

Welche Situationen sind heikel?
Jene, die sich auf das Resultat auswirken, etwa ein falscher Penalty, ein übersehenes Offside oder Handspiel. Diese Situationen geschehen im 16er. Mit dem Video-Schiedsrichter haben wir einen «Airbag», der in umstrittenen Situationen hilft. Dennoch gibt es genügend knifflige Situationen, die einen Interpretationsspielraum zulassen.

Was sind die schönen Momente auf dem Platz?
Man sagt, ein Schiedsrichter sei gut, wenn er kein Thema ist. Ich freue mich jedoch, wenn es später heisst, dass ich einen schwierigen Match gut geleitet habe. Solche Feedbacks kommen meist von den direkt Beteiligten, weniger von den Medien.

Sie treffen innerhalb von Sekunden einen Entscheid. Haben Sie Angst, falsch zu pfeifen?
Angst nicht, aber Respekt. Wenn ich mir später zu Hause die Situation nochmals anschaue, wundere ich mich manchmal, wie ich dies überhaupt sehen konnte. Das ging so schnell, das war fast unmöglich.

Und wie konnten Sie dies erkennen?
Im Laufe der Jahre haben wir unzählige Situationen im Kopf abgespeichert. Auf dem Platz erkennen wir eine Situation und setzen diesen Puzzlestein anhand unserer Erfahrungen zu einem Ganzen zusammen. Das hilft uns, in kniffligen Situationen Entscheide zu fällen.

Haben Sie schon falsch entschieden?
Ja. Es wäre nicht gut, wenn es nicht so wäre. Man lernt durch die Fehler. Ich habe Fehler gemacht, über die ich mich extrem aufgeregt habe. Für uns Schiedsrichter ist es eine Niederlage, wenn wir auf dem Platz einen Fehlentscheid fällen und dieser am Schluss über Sieg und Niederlage entscheidet.

Sie haben schon in den verschie­densten Ligen geleitet. Verhalten sich Profis auf dem Platz anders als Amateure?
Bei den Profis ist der Umgang freundlicher und respektvoller als bei den Amateuren. Der Profifussball ist in der Schweiz wie eine grosse Familie, man trifft sich und kennt sich. Bei den Amateuren begegnet man ständig neuen Gesichtern.

Beschäftigt Sie ein Spiel, wenn Sie nach Hause kommen?
An solchen Tagen braucht es lange, bis ich einschlafe. Man ist körperlich erschöpft, steht aber noch voll unter Adrenalin. In den 90 Minuten kommt vieles zusammen. Man braucht Zeit, um dies zu verarbeiten. Ich schaue mir deshalb die heiklen Situationen im Fernseher an, um mir ein Bild davon zu machen und besser einschlafen zu können.

Haben Fans Sie schon nach einem Spiel belästigt?
Ja, das kommt vor. Als ich auf einen Kommentar antwortete, konnte ich die Situation gut auflösen. Viele schreiben etwas im Internet aus ihren Emotionen heraus und meinen es gar nicht so.

Was können Sie auf dem Fussballfeld für Ihren Alltag lernen?
Ein Spiel zu pfeifen, ist eine Persönlichkeitsschulung. Man lernt, wie man in heiklen Situationen mit Druck umgeht und schwierige Entscheide fällt.

Spielen Sie in Ihrem Umfeld auch den Schiedsrichter?
Nein. Aber ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Als wir letzthin spazieren gingen, stritten drei Kinder miteinander. Ich fragte sie, wo das Problem liegt und wie wir dies lösen könnten. Meine Freundin witzelt dann jeweils, «du Schiri»!

Ist der Fussball gerecht? Gewinnen immer die Richtigen?
Es gewinnt nicht immer die bessere Mannschaft, manchmal gewinnt die glücklichere. Eine Mannschaft kann zehn hundertprozentige Chancen haben und erzielt kein Tor. Und der Gegner hat die eine Chance und gewinnt Eins zu Null. Ob Fussball gerecht ist, weiss ich nicht, ich hoffe es. Aber letztendlich setzen sich die besseren Mannschaften durch, und so kann man sagen, Fussball ist gerecht.

Welches Spiel würden Sie gerne pfeifen?
Man kann träumen, sollte dabei aber realistisch bleiben.

Etwa ein Spiel mit Barcelona?
Ich müsste eine erfolgreiche, internationale Karriere machen, um an solche Spiele heranzukommen. Es ist mein Ziel, ruhmreiche Mannschaften begleiten zu dürfen. Aber derzeit geniesse ich meine Karriere in der Schweiz.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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