Geschah hier Weesentliches mit Zwingli?
Weesen am Walensee: Hier lebt der junge Huldrych Zwingli von 1489 bis 1494 bei seinem Onkel Bartholomäus. Das Hafenstädtchen mit heute 1600 Einwohnern liegt an der im Spätmittelalter bedeutsamen Transitroute zwischen Zürich und den Bündner Pässen.
Ueli Zwingli ist bei seiner Ankunft in Weesen fünfjährig, den Weg dorthin hat er wohl zu Fuss aus seinem Geburtsort Wildhaus im Obertoggenburg zurückgelegt. Das sind nahezu 30 Kilometer Fussmarsch, entlang der Nordflanke der Churfirsten.
Bartholomäus Zwingli ist ein Bruder des Vaters von Ueli und seit 1487 Pfarrer in Weesen. Er wohnt in der Kaplanei gleich neben der Heiligkreuzkirche, beide Gebäude stehen noch heute. Grund für die Übersiedlung des kleinen Ueli an das Westende des Walensee ist die Bildung: Hier bekommt er seinen ersten Schulunterricht.
Der Onkel als geistiger Vater?
Aber an diese Kinderjahre des Reformators erinnert in Weesen nichts. «Wir hatten die Weesener Kindheit Zwinglis bisher nicht auf dem Radar», heisst es beim lokalen Tourismusbüro. Jetzt, da das Reformationsjubiläum vor der Türe steht, will man das ändern.
Treibende Kraft für dieses Vorhaben ist der reformierte Weesener Pfarrer Jörn Schlede. «Weesen hat bisher aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen ausser Acht gelassen, dass der spätere Reformator hier gelebt und entscheidende Impulse für seine Entwicklung bekommen hat», sagt er. Grund dafür dürfte sein, dass Weesen eine katholische Geschichte hat: Nach einem Bildersturm ist das Städtchen nur gerade drei Jahre bis 1532 reformiert. Die protestantische Zwinglikirche wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, als in Folge der Linthkorrektion 100 Jahre zuvor das Städtchen prosperierte und mehr Reformierte zuzogen.
Weesen und Wien
Schlede geht es aber nicht nur um die Kindertage von Ueli. Seiner Meinung nach hat Zwingli bereits in Weesen durch das Vorbild seines Onkel Humanismus-Luft geschnuppert. «Bartholomäus Zwingli ist ein geistiger Vater des Reformators. Denn er hat humanistische Ideale vertreten, die den jungen Ueli beeinflusst haben», sagt Schlede.
Mit zehn Jahren verlässt Zwingli Weesen. Auch bei der Wahl der nächsten Ausbildungsstation habe Onkel Bartholomäus eine wichtige Rolle gespielt, und damit eine entscheidende Weiche auf dem Weg zum Reformator gestellt. «Er hat zusammen mit Zwinglis Vater durchgesetzt, dass Ueli an die humanistische Universität Wien statt ins Kloster ging.»
Mit «Ueli in der Schueli»
Um die Erinnerung an Zwingli mit ein wenig Standortmarketing für Weesen zu verknüpfen, bietet Schlede unter dem Motto «Mit Ueli in der Schueli» mittelalterlichen Schulunterricht an. Unterrichtet wird auf Anmeldung eine Kurzfassung Latein, Mathematik und deutsche Sprache.
Auch die Rolle des «Lupus», der Dummheiten der Schüler ahndet, gehört dazu. «Mit dem Angebot ‚Ueli in der Schueli’ wollen wir zeigen, dass die Reformation auch eine Bildungsbewegung war: Jeder sollte die Bibel lesen können», sagt Schlede. In Planung sind auch Stationen mit mittelalterlichen Spielen: Dort soll man spielen können, wie Ueli gespielt hat.
Spielten Katharina von Zimmern und Zwingli in Weesen?
Für Schlede ist eine weitere Episode aus Zwinglis Jugend bedeutsam. Katharina von Zimmern, die spätere Äbtissin des Klosters Fraumünster in Zürich, hat in Weesen direkt neben Ueli gewohnt. «Es ist also naheliegend, dass sie eine Jugend-Kameradin von Zwingli gewesen ist», sagt Schlede.
Die beiden treffen sich später in Zürich wieder. Die Jugendbekanntschaft sei für Zwingli ein Türöffner gewesen. «Das dürfte den Weg geebnet haben dafür, dass der Reformator im Fraumünster predigen konnte.» Die Ideen der Reformation finden im Frauenkloster Eingang, und es geht 1524 unter Katharina von Zimmern an die Stadt Zürich.
«Keine Folgen für reformatorisches Wirken»
So verlockend es ist, einen Blick in die Kindheit des Reformators zu werfen, so wenige Quellen gibt es über seinen Weesener Aufenthalt. Diese beinhalten lediglich, dass er von 1489 bis 1494 in Weesen bei seinem Onkel für den Schulunterricht war. Der ermeritierte Basler Kirchengeschichtler Ulrich Gäbler schreibt daher in seiner Zwingli-Biographie lapidar: «Über die fünf Jahre des Weesener Aufenthalts wissen wir sonst nichts.» In der Zwingli-Forschung spielt Weesen daher keine Rolle.
Im 2015 erschienen Zwingli-Buch des Zürcher Kirchengeschichtlers Peter Opitz wird die Ortschaft nicht erwähnt. Ulrich Gäbler hält fest: «Es gibt keinerlei zuverlässige Nachrichten, die darauf schliessen lassen, dass die Jahre in Weesen irgendwelche Folgen für sein späteres reformatorisches Wirken gehabt haben.»
Daniel Klingenberg / ref.ch / 21. Oktober 2016
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
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