Gaumenschmaus ohne Graus
Vielleicht gibt es Pastetli mit Pilzrahmsauce, Peterlipesto und Kartoffelpuffer, vielleicht aber Randencarpaccio, Kürbisgnocchi und Pflaumenkompott. Wenn der Schweizerhofkoch Silvan Durrer am kommenden Donnerstag in der grossen Bankettküche des Traditionshauses beim Hauptbahnhof steht, wird er wohl selber noch nicht genau wissen, was er und ein Team von Profiköchen für gut 450 Personen auf die Teller zaubern werden.
Krumme Rüebli und Äpfel mit Dellen
Einen Thanksgiving-Truthahn wie im amerikanischen Fernsehen wird es am Foodsave-Bankett aber kaum geben. Denn über die aufgetischten Speisen bestimmt kein Menüplan, sondern die verfügbaren Zutaten, die dem Chef abends zuvor ins Haus geliefert werden. Bei diesen handelt es sich um Lebensmittel, die sonst im Abfall gelandet wären. Wohlgemerkt: Keine Gammelware, zu grausen braucht sich niemand. Die Organisation Schweizer Tafel sammelt die geniessbaren Esswaren bei Detailhändlern, die diese sonst entsorgt hätten – etwa Joghurts, die das Ablaufdatum erreicht haben, Äpfel, die leichte Dellen haben, oder Rüebli, die krumm geraten sind.
Urbanes Erntedankfest
«Wir wollen mit der Aktion ein Erntedankfest der anderen Art feiern», erklärt Andreas Nufer von der Offenen Kirche Heiliggeist, worum es beim Event geht. Gemeinsam mit Andrea Meier, der Jugendbeauftragten der Katholischen Kirche Region Bern hat er das öffentliche Festessen auf die Beine gestellt. «Unsere Idee war, Dankbarkeit für ein junges urbanes Publikum neu zu interpretieren. Foodwaste beschäftigt viele Menschen.» Dass es gelungen sei, das benachbarte Fünfsterne-Restaurant Schweizerhof und zahlreiche lokale Basisgruppen und Organisationen, die sich mit Ernährung und Nachhaltigkeit beschäftigen, an einen Tisch zu bringen, bezeichnet Nufer als Glücksfall.
Genuss ohne Reue
Es wird also ein Erntedankfest der besonderen Art: Mitten in Bern auf dem Bahnhofsplatz wird eine 60 Meter lange Tafel aufgebaut. Gut 400 Personen finden daran Platz. Im Vordergrund stehe klar das gemeinsame Essen: «Der Event heisst Foodsave und nicht Foodwaste. Wir wollen geniessen, nicht moralisieren», macht Nufer klar. Denn auch wenn der Anlass die Problematik der Essensverschwendung aufgreife – ein schlechtes Gewissen sei fehl am Platz.
Festen mit Resten
Dennoch wird es ein Rahmenprogramm mit Inputs rund ums Thema Foodwaste geben. So wird zum Beispiel ein Berner Slampoet seine Gedanken zum Thema Essen in Worte und Laute fassen. Mit von der Partie ist aber auch die Organisation foodwaste.ch. Auch sie wird keinen Mahnfinger erheben: «Wir wollen vielmehr Lust darauf machen, bewusster zu konsumieren», so Dominique Senn, Geschäftsleiterin der Berner NGO, denn «neben dem Wissen um die Folgen von Essensverschwendung fehlt es Einzelnen vor allem auch an Ideen, was sie selber dagegen tun können». Zwar sei das Thema Lebensmittelverschwendung sehr komplex, doch können auch Einzelne mit ihrem Konsumverhalten viel ändern: Gemäss Schätzungen finde sich fast die Hälfte des sogenannten Foodwastes in den Abfallkübeln von Privathaushalten.
Ein paar kulinarische Ideen zur Restenverwertung könnte dabei der Input von Mirko Burri liefern. Der Kochbuchautor ist so etwas wie der «Wastefood»-Papst in der Berner Gastroszene. Auch er ist beim Bankett mit dabei.
Eine riesige Abendmahlsgemeinschaft
Das ist alles schön und gut – aber was haben ein öffentliches Bankett und Foodwaste mit Religion und Spiritualität zu tun? Sehr viel, ist Andreas Nufer überzeugt, denn in der religiösen Tradition von Erntedank komme die Dankbarkeit für die Schöpfung zum Ausdruck. Diese schliesse die Sorge darum mit ein: «In der christlichen Theologie gehen Danken und Denken immer zusammen.» Und schliesslich gehe es auch um das gemeinsame Ritual: So sind alle Interessierten eingeladen, die Tafel zusammen aufzustellen und das Buffet aufzutragen. Auch das sei eine Art spirituelle Erfahrung. «Und wenn wir dann alle zusammen sitzen und essen, dann bilden wir eigentlich eine gigantische Abendmahlsgemeinschaft. Mitten in Bern.»
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Susanne Leuenberger / ref.ch / 20. September 2016
Gaumenschmaus ohne Graus