Es brodelt in Werdenberg!
«Diss jars erhuob sich die pursami (der Bauernstand) under dem teckmantel des gotsworts wider ire herren und oberen gar nach allenthalben, und so si ein wyl lang ser gewüetet hattend mit klöster verwüsten und schlösser brechen, nam ir lätzer geist ein bös end … Unser lüt von Werdenberg wurdend ouch gereizt uss der süessi der fryheit, so si sachend an den klösterbrecheren, und fiengend an gmeinden (sich zu versammeln zwecks Stärkung), welches aber wider iren eid war…», so beschreibt der Glarner Historiker Valentin Tschudi in seiner Chronik der Reformationsjahre das Geschehen im Werdenberg.
Seveler Pfarrer in Haft
Da die werdenbergischen Untertanen sich von ihren Glarner Herren weder von Boten noch Briefen beeindrucken liessen, sondern in ihrer «halsstarche» verharrten, wurde von jeder Glarner Kilchhöri ein Mann als Besatzung geschickt, um den offenbar besonders aufmüpfigen Seveler Pfarrherrn Johannes Hösli gefangenzunehmen. Wohl versuchten die Bauern, ihn zu befreien, doch das misslang. «Etlich wurden in turn (Turm) glegt, und so das strouw, dieweyl si schliefend, angezündt was, wärend si schier im turn erstickt, und bracht man si kümmerlich drus»
Unbändige Unterthanen
Ein anderer Tschudi, Johann Heinrich, schreibt: Man wisse nicht, «ob ihre gantz besondere und recht wundersame Hartnäckigkeit eine Frucht sey / nicht wol einer muth-willigen Bossheit / als einer mitleydens-würdigen Thumheit / in welcher sie sich gern von den jenigen aus ihrer eignen Mittel missbrauchen lassen / von welchen sie glauben / dass sie kluge und geschickte Männer seyen…. Mit unbändigen Unterthanen / kann ein kleiner Graf / oder sonst keine oder
wenig andere Kräfte hat / nicht wol hausen.»
Zwei verschiedene Kapitel
Für die Glarner Obrigkeit scheinen Bauernunruhen und die obrigkeitlich eingeführte Reformation klar zwei verschiedene Kapitel gewesen zu sein. Der historisch interessierte Seveler Pfarrer Huldreich Gustav Sulzerberger (von 1866–1882 in Sevelen) berichtet in Bezug auf die vorreformatorische Zeit im Werdenberg von ziemlich unerfreulichen Zuständen. In den Werdenberger Kirchspielen hätten seit Langem arge Missstände geherrscht, da die Pfarrherren ein behagliches Leben geführt hätten, ihr Amt häufig durch Vikare versehen liessen, um sich selbst auf Reisen oder gar in fremde Kriegsdienste zu begeben.
«Unser lüt von Werdenberg wurdend ouch gereizt uss der süessi der fryheit.»
Er spricht von zwei religiösen Bewegungen, die zwar einen religiösen Schein angenommen, jedoch faktisch zwei entgegengesetzte Ziele im Sinn gehabt hätten: den Bauernaufstand und die Wiedertäuferei. Diese beide hätten die «echten Anliegen» der Reformation getrübt und geschädigt: «Von den Irrthümern und Ausschweifungen der letztern Partei hielten sich die Glarner wie die werdenbergischen Unterthanen ferne; dagegen fanden die Lockungen der erstern, die nur zu bürgerlichen statt zu religiösen Fortschritten im Namen des Wortes Gottes aufforderte, bei den Gemeinden Grabs, Buchs und Sevelen …. nur zu bald willkommenen Eingang…. Man kann sich wundern, dass ein sonst ernstes, religiös gesinntes Volk nur die schlimme und nicht die gute Zeiterscheinung mit Freuden begrüsste.»
Fromm und politisch wach
Der Tenor historischer Urteile: Die Werdenberger waren bereits zu (vor)reformatorischer Zeit ein aufmüpfiges Völklein, das die politisch-sozialen Begleiterscheinungen reformatorisch-befreierischen Gedankengutes allzu gerne für sich
reklamierten und dies geschickt religiös zu begründen wussten, jedoch von den Machthabern in ihre Schranken verwiesen wurden.
Bis heute gelten die Werdenberger als mehrheitlich kirchentreue «fromme» Zeitgenossen, die ihre sozialen Anliegen stets religiös als auch politisch zu vertreten wussten/wissen. Davon zeugt bis heute m.E. ein in der Bevölkerung stark verankertes religiös-soziales Bewusstsein!
Text: Marilene Hess, Pfarrerin St.Gallen-Tablat-Grossacker | Foto: as – Kirchenbote SG, April 2017
Es brodelt in Werdenberg!