News von der Glarner reformierten Landeskirche
Vatertag 4. Juni

Es braucht positive Bilder von Vätern

von Tilmann Zuber
min
30.05.2023
Das Vaterbild ist im Wandel. Der ehemalige kirchliche Männerbeauftragte Christoph Walser sieht im neuen Vater eine Chance, warnt jedoch vor Überforderung.

Christoph Walser, am 4. Juni feiert die Schweiz den Vatertag. Anlass genug nachzufragen: Was macht einen guten Vater aus?

Das ist eine schwierige Frage. Ein guter Vater hat Zeit fĂŒr seine Kinder, nicht nur am Wochenende. So bekommt er viel mit. Sonst besteht die Gefahr, dass die ganze Verantwortung der Frau ĂŒberlassen wird. Studien zeigen, dass viele VĂ€ter ihre Frauen bei der Erziehung eigentlich nur unterstĂŒtzen wollen. Das entspricht aber nicht einem modernen Vaterbild, bei dem beide Elternteile gleichberechtigt an die Aufgabe herangehen.

DafĂŒr mĂŒssten VĂ€ter weniger arbeiten. Das können sich viele Familien nicht leisten.

Ja, gerade heute treffen die steigenden Lebenshaltungskosten Familien und Alleinerziehende besonders hart. Da MĂ€nner oft mehr verdienen als ihre Frauen, wird es finanziell schwierig, wenn sie weniger arbeiten und ihre Partnerin das Pensum aufstockt. Jedes Paar muss genau prĂŒfen, was es von einer solchen VerĂ€nderung hat. Oft ist es nicht eine Frage des Willens, sondern der Finanzen.

Ist es nicht so, dass MĂ€nner lieber Vollzeit arbeiten wollen?

Ganz und gar nicht. Umfragen zeigen, dass viele MĂ€nner bereit wĂ€ren, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Tatsache ist aber, dass es in der Wirtschaft weniger Teilzeitstellen fĂŒr MĂ€nner gibt und dass Familien den GĂŒrtel enger schnallen mĂŒssen, wenn der Vater seine Arbeitszeit reduziert. Zudem sind die Rahmenbedingungen in der Schweiz schwierig. Sie ist eines der wenigen LĂ€nder in Europa, die keinen Elternurlaub nach der Geburt kennen. Diese Auszeit wĂ€re wichtig fĂŒr die Beziehung beider Partner zu den Kindern. Es ist bedenklich, dass ein so reiches Land so wenig in die Familie investiert. Arbeit und Wirtschaft stehen in der Schweiz immer noch an erster Stelle.

Es ist bedenklich, dass ein so reiches Land so wenig in die Familie investiert. Arbeit und Wirtschaft stehen in der Schweiz immer noch an erster Stelle.

MĂ€nner mĂŒssen heute viele Rollen ĂŒbernehmen: Sie sind verstĂ€ndnisvolle VĂ€ter und Partner. Sie sollen Karriere machen und im Haushalt anpacken. FĂŒhrt das nicht zu Überforderung?

Ja, die Fakten sind da eindeutig. Zwischen 85 und 90 Prozent der VĂ€ter sind Hauptverdiener. Gleichzeitig wird erwartet, dass sie immer mehr im Haushalt und mit den Kindern ĂŒbernehmen. MĂ€nner mĂŒssen heute aufpassen, dass sie nicht ausbrennen.

Ist diese Gefahr gross?

Ja, das kann schnell zur Überforderung fĂŒhren. MĂ€nner unterschĂ€tzen, was es bedeutet, zwanzig, dreissig Jahre die Rolle des AlleinernĂ€hrers zu ĂŒbernehmen.

Sie haben viele MĂ€nnergruppen geleitet. Von welchen Problemen berichten die VĂ€ter?

Von fehlender Erholung. Das betrifft nicht nur die VĂ€ter, sondern auch die MĂŒtter. Wenn ein Paar Kinder bekommt, bleibt neben Arbeit, Haushalt und Kindern kaum noch Zeit fĂŒr eigene BedĂŒrfnisse und Erholung. Man will nur funktionieren und achtet kaum auf sich. Eine weitere Schwierigkeit, von der VĂ€ter berichten, ist, dass sie Schwierigkeiten haben, eine Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen. Sie fĂŒhlen sich an den Rand der Familie gedrĂ€ngt wie Statisten, von denen die Kinder nichts wissen wollen.

Haben VĂ€ter und MĂŒtter unterschiedliche Erziehungsvorstellungen?

Nein, das ist heute weniger eine Frage des Geschlechts. Entscheidender sind die Vorstellungen und Werte der jeweiligen Herkunftsfamilie.

Studien zeigen, dass MĂŒtter ihre Partner teilweise gar nicht in die Erziehung einbeziehen.

Das kommt vor. Frauen sind seit Generationen kompetenter in der Kinderbetreuung. Viele MĂ€nner mĂŒssen hier mehr Energie und Zeit aufbringen und mehr Verantwortung ĂŒbernehmen. Nur ĂŒber die Frauen zu klagen, bringt wenig.

Für einen Jungen ist es in diesem Alter wichtig, sich an männlichen Vorbildern orientieren zu können. Das gilt auch für Mädchen, denn ein Vater ist wichtig für das spätere Männerbild.

Viele Kinder wachsen heute ohne Vater auf. Brauchen Kinder nicht mÀnnliche Vorbilder?

Eindeutig ja. Viele Kinder begegnen bis zur Oberstufe nur weiblichen Erzieherinnen. FĂŒr einen Jungen ist es in diesem Alter wichtig, sich an mĂ€nnlichen Vorbildern orientieren zu können. Das gilt auch fĂŒr MĂ€dchen, denn ein Vater ist wichtig fĂŒr das spĂ€tere MĂ€nnerbild. Ideal ist es, wenn Kinder Kontakt zu MĂŒttern und VĂ€tern haben und sich an beiden Geschlechtern orientieren können.

Was bringen VĂ€ter in die Familie ein, was MĂŒtter nicht können?

Das hÀngt in erster Linie nicht vom Geschlecht ab, sondern von der Person. Kinder haben durch Schwangerschaft und Geburt eine enge Beziehung zur Mutter. Frauen geben ihnen eher Sicherheit und Geborgenheit. MÀnner bilden den Gegenpol. Sie ermutigen die Kinder, die Welt zu entdecken. Heute verschwimmen diese Rollen zwischen den Geschlechtern immer mehr.

Wie sieht es mit Patchworkfamilien aus?

Der Mann sollte versuchen, eine Beziehung zu den Kindern seiner neuen Partnerin aufzubauen. Er möchte ja ein Teil dieser Familie werden. Als sozialer Vater kann er aber nie den leiblichen Vater ersetzen. Er kann aber eine wichtige Rolle im Leben der Kinder spielen und sie beim Aufwachsen begleiten.

Wie kann die Kirche Familien unterstĂŒtzen?

Viele Kirchgemeinden machen Angebote fĂŒr VĂ€ter und ihre Kinder. Dort können sich die VĂ€ter einmal ohne die MĂŒtter austauschen. Abends am Lagerfeuer entstehen manchmal die besten GesprĂ€che unter MĂ€nnern.

Unser spirituelles Angebot richtet sich vor allem an diejenigen, die viel Zeit und Musse für Meditation und Gottesdienst haben. Und daran mangelt es den meisten Vätern und Müttern.

Sind VĂ€ter ein Thema in der Kirche?

Ehrlich gesagt, nur am Rande. Unser spirituelles Angebot richtet sich vor allem an diejenigen, die viel Zeit und Musse fĂŒr Meditation und Gottesdienst haben. Und daran mangelt es den meisten VĂ€tern und MĂŒttern. Konkret zeigt sich das zum Beispiel am Schweizer VĂ€tertag, der mittlerweile in fast allen digitalen Kalendern zu finden ist, nur nicht in den kirchlichen. Dabei wĂ€re der erste Sonntag im Juni eine wunderbare Gelegenheit, ĂŒber Vaterschaft zu predigen.

Kennt die Bibel Vorbilder fĂŒr VĂ€ter?

Das Alte Testament erzĂ€hlt von vielen beeindruckenden VĂ€tern. Und im Neuen Testament gibt es das wunderbare Bild von Josef, der seine Patchworkfamilie liebevoll umsorgt und beschĂŒtzt. Ich vermute, dass die christliche ZurĂŒckhaltung beim Thema «VĂ€ter und Familie» kirchengeschichtlich bedingt ist. Das Neue Testament berichtet, wie die JĂŒnger in der Nachfolge Jesu ihre Familien verliessen oder dass Paulus Junggeselle war. Und im Mittelalter galten zölibatĂ€r lebende Priester und Mönche als die besseren Christen.

Hat sich das mit der Reformation geÀndert?

Zum Teil. Einerseits wurde der Pfarrer mit seiner kinderreichen Familie im Pfarrhaus zum Familienideal. Andererseits sollte sich der Pfarrer fĂŒr die Gemeinde aufopfern und war kaum fĂŒr die Kinder da.

Es fehlt also an zeitgemÀssen Vaterbildern?

Ja, das sehe ich allerdings auch als Chance. Die Kirche könnte sich fĂŒr ein positives Vaterbild einsetzen. In der Gesellschaft wird heute viel ĂŒber das Vatersein diskutiert. Aber meist mit dem Mahnfinger der Gleichstellungspolitik: VĂ€ter sollen mehr tun, aber sie wollen nicht. Und wegen der MĂ€nner gĂ€be es bis heute keine Gleichberechtigung. Mit Schuldzuweisungen kommen wir nicht weiter. Es braucht positive VĂ€terbilder und dazu könnte die Kirche beitragen.

Zur unangenehmen Seite des Vaterseins. Sie haben zwei Töchter. Haben Sie Windeln gewechselt?

Ja, meine Partnerin und ich haben das abwechslungsweise gemacht, je nachdem, wem es im wahrsten Sinne des Wortes weniger gestunken hat.

Hat man als Vater auch schöne Erlebnisse?

Ja, unzÀhlige. Im Neuen Testament sagt Jesus, dass die Kinder dem Reich Gottes nÀher sind. Das stimmt. Gerade wir MÀnner verplanen stÀndig alles. Aber wenn wir uns auf die SpontaneitÀt der Kinder einlassen und ihnen darin folgen, erleben wir eine wunderbare Zeit miteinander. Wie oft habe ich mit meinen Töchtern unbeschwerte Nachmittage im Wald verbracht.

 

Christoph Walser

Christoph Walser

Christoph Walser ist Pfarrer und ehemaliger kirchlicher MĂ€nnerbeauftragter, Fachmann fĂŒr MĂ€nnerarbeit, SpiritualitĂ€t und Burnout-PrĂ€vention.

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