Eine Journalistin im Dienst der Rechtlosen
«My very first question to you.» So pflegte Ruth Weiss viele ihrer Interviews zu beginnen. Und schon diese allererste Frage zielte aufs Ganze: Es ging um Wirtschaft und damit auch um Armut und Ungerechtigkeit. Es ging um Politik, und das bedeutete: um die Apartheid, um Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen im südlichen Afrika. Interviewpartner waren Politiker und Leader, aber auch Bewohnerinnen der Townships, Minenarbeiter, Demonstrierende. Ihnen vor allem wollte Ruth Weiss eine Stimme geben. Gewinnend war sie im Gespräch, aber auch hartnäckig.
Eine dieser «ersten Fragen» war: «How is it, that you became involved in the struggle?» Eine Frage, die sich auch gegenüber Ruth Weiss aufdrängt: «Wie kam es, dass Sie sich so für Unterdrückte einsetzten?» Der Zusammenhang ist für sie klar. Ruths Familie war jüdisch; sie emigrierte aus Nazi-Deutschland nach Südafrika. Die Eltern führten in Johannesburg einen kleinen Lebensmittelladen, sie hatten ein bescheidenes Einkommen, sie waren in Sicherheit, aber sie erkannten schnell, dass sie von einem Unrechtsstaat in einen anderen gelangt waren. «Wenn man selber Diskriminierung erlebt hat, ist man sensibilisiert für die Ausgrenzung anderer.»
Ruth Weiss veranschaulicht es mit einem Beispiel: Ihre Mitschülerinnen kamen aus armen weissen Familien. Sie wollten Verkäuferin werden oder Coiffeuse. Ambitionen hatten sie kaum, doch Ruth fiel auf, wie selbstverständlich für diese Mädchen die Überlegenheit der Weissen war. «Alle hatten daheim schwarze Hausangestellte.»
Meine Freunde sind mir Heimat
«Ich war nie jung», sagt die nun Neunzigjährige, «ich hatte keine Kindheit.» In Südafrika mit seinem Unrechtssystem konnte sie nicht heimisch werden. «Ich fühle mich keinem Land und keiner Nation zugehörig. Meine Freunde sind mir Heimat.» Im Apartheidsstaat jedoch sei Freundschaft zwischen Schwarz und Weiss gar nicht möglich gewesen. «Es gab nur Abhängigkeitsverhältnisse, die Rassengesetze verhinderten echte menschliche Begegnungen.»
Heimat bei Freunden, Schwarzen wie Weissen, hat Ruth Weiss jedoch im Laufe ihres bewegten Lebens an vielen Orten gefunden: in Rhodesien, dem späteren Zimbabwe, in England, auch wieder in Deutschland, wo sie heute lebt. In diesem Sommer veranstalteten die Basler Afrika Bibliographien eine Ausstellung über ihr Leben. Vor kurzem ist ihr neuester Roman «Der jüdische Kreuzfahrer» erschienen.
Ruth Weiss wurde eine geschätzte Wirtschaftsjournalistin und das ohne entsprechende Ausbildung. «An einer meiner ersten Stellen, bei einer Versicherung, wurde ich mit ökonomischen Zusammenhängen vertraut.» Sie arbeitete für Zeitung und Radio, schrieb Bücher und hielt Vorträge über die Situation in Südafrika. Weil sie dort auf der «Schwarzen Liste» stand, hatte sie 1966 Johannesburg verlassen und arbeitete im damaligen Rhodesien bis sie auch da nicht mehr geduldet wurde.
Aber sie durfte den Erfolg der Unabhängigkeits- und Freiheitsbewegungen erleben. Dass in der südafrikanischen Gesellschaft noch längst nicht alles in Ordnung ist, weiss sie sehr wohl, aber sie ist zuversichtlich: «Die Entwicklung zu einer gerechteren Gesellschaft braucht Zeit. Wie lange hat es gedauert, bis sich Aufklärung und Demokratie in Europa durchgesetzt haben?»
Käthi Koeni, reformiert.
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