«Dummheit ist gefährlicher als Bosheit»
Dietrich Bonhoeffer ist Pfarrer Frank Sachweh seit seiner Studienzeit sein «Lebens- und Glaubensvorbild». Deshalb hat er die Gedenkstätte im früheren Konzentrationslager (KZ) Flossenbürg besucht, wo Bonhoeffer 39-jährig am 9. April 1945 kurz vor Ende des Kriegs erhängt wurde.
Gewissen – die Stimme Gottes
«Der Gang über das Gelände hat mich sehr traurig gemacht, aber ich will nicht so feige sein, nicht hinzuschauen, und ich will mich berühren lassen. Ein Gedenkstättenbesuch erdet und himmelt mich. Bonhoeffers Gebete im Todeslager wie «Von guten Mächten » seien Ausdruck dieses Dilemmas.
Er sei in Flossenbürg in seiner Meinung bestärkt worden, «dass so etwas nie wieder geschehen darf und dass es an uns allen liegt, unsere Gesellschaft mitzugestalten». Die meisten Christen hätten es damals hingenommen, dass die Nazis auch in der Kirche das Sagen hatten. «Als Theologe glaube ich: Das Gewissen ist die Stimme Gottes. Wir müssen immer wieder herausfinden, wozu uns diese Stimme ruft.» Bonhoeffer habe das eindrücklich vorgelebt. «Er hat Widerstand geleistet gegen das unmenschliche System des Dritten Reiches, weil er nicht tatenlos zusehen konnte, wie Gottes Wort missachtet wurde. Die Kirche hat dazu geschwiegen.»
Die Bevölkerung sei aufgefordert worden, nicht bei Juden einzukaufen, und das Recht jüdischer Bürger sei mit Füssen getreten worden. «Für Bonhoeffer war klar, da dürfen Christen nicht mitmachen. Das ist doch gerade heute leider wieder ganz aktuell», bedauert Sachweh und sieht Parallelen zur Entwicklung in Deutschland zwischen 1933, als Hitler demokratisch an die Macht kam, und 1945: «So viele Länder sind auf dem Weg von einer Demokratie zu einer Diktatur.»
«Wächter- und Trostamt»
Bonhoeffer habe gemahnt, dass die Kirche «ihr Wächteramt und ihr Trostamt oftmals verleugnet» habe. Sachweh ist überzeugt: «Auch unsere Kirche im Thurgau darf sich nie zu sehr mit sich selbst und auch nicht nur mit persönlichen Glaubensfragen beschäftigen. Sie hat ein Wächteramt.» Bonhoeffers geistliches Erbe besteht für Sachweh vor allem in der Erkenntnis, «dass der Glaube an den Gott der Bibel nie bloss ein innerliches Gefühl sein darf. Der Glaube setzt mich in Bewegung. Wir können keine frommen Kirchenlieder singen und Gott im Himmel loben, wenn wir zu gesellschaftlichem, sozialem, politischem Unrecht schweigen.»
«Dem Rad selbst in die Speichen greifen»
Bonhoeffer komme etwa 1940 zu der provozierenden Frage: «Hat die Kirche nur die Opfer aufzulesen oder muss sie dem Rad selbst in die Speichen greifen?» Bonhoeffer selber habe sich für Letzteres entschieden und sich der Widerstandsbewegung angeschlossen. Sachweh macht das mit einem Bonhoeffer-Zitat noch deutlicher: «Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.»
Die heutige Kirche tue gut daran, ist Sachweh überzeugt, sich noch mehr an der Lebenswelt der Menschen zu orientieren. Eines der wichtigsten «Bonhoeffer- Erkenntnisse» schon während des Studiums sei aktueller denn je. Bonhoeffer habe beispielsweise «wirklich so krass formuliert », dass «Dummheit gefährlicher als Bosheit» sei. Sachweh zieht Parallelen zu Menschen, die «dumpf-dreisten Parolen auf den Leim kriechen».
Das Drehbuch sei stets dasselbe, sagt Sachweh wiederum mit einem Bonhoeffer-Zitat: «Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen.» So sei es auch heute, denn: «Viele fallen auf Falschmeldungen herein und verbreiten sie ungeprüft übers Netz.» Dagegen könne man wie Bonhoeffer auf die Kraft des Glaubens setzen: «Die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang», hat der Widerstandskämpfer aus Psalm 111 zitiert.
«Dummheit ist gefährlicher als Bosheit»