News von der Glarner reformierten Landeskirche

Die Welt tanzt – zu einem Gebet

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14.01.2021
Tanzende Spitalbelegschaften, hüpfende Nonnen und wippende Marineoffiziere. Der Welthit «Jerusalema» stürmt die Chartplätze rund um den Globus. Doch was macht den spirituellen Song des südafrikanischen DJ Master KG so attraktiv?

Die ganze Welt tanzt zu «Jerusalema» und weiss nicht, dass sie dabei betet: Denn wenn die Südafrikanerin Nomcebo Zikode ihre warme und kraftvolle Stimme erhebt, singt sie einen religiösen Text. «Jerusalem ist meine Heimat, rette mich» heisst es im Song von DJ Master KG. Zikode drückt im Text ihre Sehnsucht aus nach dem himmlischen Jerusalem, als Ort vollendeter Freude. Doch kein Mensch ausserhalb Südafrikas versteht Zulu, die Sprache des Textes von «Jerusalema». Trotzdem haben die hunderten Tanzvarianten auf Youtube längst alle überzeugt: Der Song mit dem treibenden Beat sei der beste Impfstoff gegen den Coronakoller, attestieren die Musikkritiker.

Südafrikanisches Feuer im Herzen
DJ Master KG oder Kgaogelo Moagi, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, komponierte «Jerusalema» bereits 2019. Der Song war zuerst nur in Südafrika bekannt. Die Tanzbewegungen im Original-Videoclip gehen auf einen traditionellen Hochzeitstanz zurück. Als eine afrikanische Gruppe zum Song tanzte und ihre Aufführung auf Youtube stellte, war dies der Beginn des Erfolgs: Schwarz und Weiss, Jung und Alt schwingen seitdem das Tanzbein und stellen ihre Videos auf Youtube. Die Begeisterung ist gross, selbst Seniorinnen in Altersheimen tanzen munter im Rhythmus mit.

Etwas Spirituelles geschaffen
Master KG, der sich als Christ bezeichnet, hat dies nicht erwartet. «Ich hätte nie gedacht, dass mein Song so erfolgreich wird», gesteht er, «nachdem ich ihn geschrieben hatte, liess mich die Melodie nicht mehr los. Ich hatte das Gefühl, etwas sehr Spirituelles geschaffen zu haben.»

Christian Weber, Studienleiter von Mission 21, der sechs Jahre in Afrika lebte, bewundert die Natürlichkeit, mit der der Song geschaffen wurde: «Master KG hatte keinerlei Intention, gross rauszukommen. Sein Motiv war es, etwas Tröstliches, Spirituelles weiterzugeben.» Gerade diese Ungezwungenheit überzeuge wohl die Menschen rund um den Erdball, meint Weber. «Sie spüren, da steckt eine Friedenskraft in diesem Song, da verfolgt niemand ein geschäftliches Interesse, da will niemand mich auf seine Seite ziehen.» Das sei ein Teil des Erfolgsgeheimnisses – und passe gut in die Corona-Zeit, ergänzt Weber. «Der Song wirkt lebenslustig, aber nicht übermütig. Er drückt Freude über das Zusammensein aus, ohne Triumphgefühle.»

Als der Song nach fünf Monaten Lockdown in Afrika gespielt wurde, freuten sich die Menschen, wieder zusammenzukommen, obwohl die Pandemie noch nicht überstanden war.

Jerusalem, Ort der Sehnsucht
Ein weiteres Geheimnis des Songs verberge sich im Text, erklärt Weber: «Nicht nur für Juden, Christen oder Muslime ist ‚Jerusalem‘ ein Schlüsselbegriff, sondern weltweit verkörpert er das Bild eines Sehnsuchtsorts. Es ist für viele die Stadt der Sehnsucht in einem tiefgründigen Sinn. Da begegnet man Gott, da begegnet man dem Leben.»

«Geh mit mir, lass mich hier nicht zurück», singt die Sängerin Zikode zu Gott. Die Präsenz in der Stimme verdichtet die Botschaft zu einem Flehen. «Sofern der Hörer den Textinhalt kennt, merkt er, der Song ist ein Gebet», bemerkt Weber. «Er drückt eine Ursehnsucht des Menschen aus. Und diese ist unabhängig von Religion in uns allen vorhanden. Wir alle kennen die Angst, alleine zurückgelassen zu werden.»

Lalibela: Das afrikanische Jerusalem
In der Demokratischen Republik Kongo erlebte Christian Weber, wie seine Studierenden Jerusalem als Inbegriff des Pilgerorts verstanden. «Aber mit der Nuance der Unerreichbarkeit. Sie hegten den grossen Wunsch, einmal den Ort zu sehen, an dem alle diese berühmten Geschichten passiert sind.» Aus finanziellen Gründen sei dies aber für die allermeisten nie realisierbar.

Weber erklärt, weshalb Jerusalem für viele Menschen in Afrika einen zusätzlich wichtigen Stellenwert hat: Im 12. und 13. Jahrhundert wurde die Stadt Lalibela in Äthiopien als spirituelles Zentrum der Christen erbaut und Neu-Jerusalem genannt. Zur spirituellen Topographie dieses Ortes gehört, dass man dort auch Bethlehem, Golgatha und einen Fluss namens Jordan findet. «Dieses neue Jerusalem war für die Menschen zumindest in der Gegend von Äthiopien erreichbar. Und es stärkte das Selbstbewusstsein der Christen überall in Afrika. Die Erkenntnis, dass mit Äthiopien einer der ältesten christlichen Staaten zu Afrika gehört und dass Äthiopien nie von Europa kolonialisiert wurde, machte dieses Land zum Symbol des kontinentalen Stolzes, für Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Neu-Jerusalem steht dafür, dass Afrika in der Heilsgeschichte Gottes eine wichtige Rolle spielt. Jerusalem ist deshalb in Afrika im doppelten Sinn ein Sehnsuchtsort.»

Michael Schäppi, kirchenbote-online.ch

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