Die Reformierten stellen sich tausenden Fragen
Die Berner Reformierten haben sich viel vorgenommen: Einen Tag haben sie Zeit, um Antworten auf die 5748 Fragen zu finden, die von der Kirchenbasis in nur vier Monaten eingegangen sind. «Für wen will die Kirche da sein?», «Wie ist unser Verhältnis zu anderen Religionen?» oder «Welche Rolle spielt die Bibel in der reformierten Kirche der Zukunft?» lauten drei dieser Fragen. Gut 300 Personen sind nun gefordert, an der Gesprächssynode vom 17. August in Bern darauf zu antworten.
«Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn gehen ihre Zukunft damit nicht nur strukturell, sondern auch inhaltlich an», sagt Iwan Schulthess, Synodalrat, Pfarrer und Departementschef Katechetik. Das Suchen nach Antworten soll schliesslich in eine Vision münden. «Ein knackiges, übersichtliches Dokument», wünscht sich Schulthess. Aufs Reformationsjubiläum 2017 soll es vorliegen und mit einem grossen Fest in Bern unter dem Motto «Doppelpunkt 21» gefeiert werden. «Die grosse Arbeit, die Umsetzung der Vision, kommt erst danach.» Schulthess sieht aber keine Gefahr, dass das Visionspapier wie so manches Leitbild in einer Schublade verschwinden könnte: «Mit den Fragen haben wir die Themen aufgenommen, welche die Kirchenbasis beschäftigen.»
Fragen sortieren
Nun sind die Synodalen am Zug, Antworten zu liefern. Warum wird das Kirchenvolk bei der Antwortfindung nicht einbezogen? «Die Synodalen müssen schliesslich auch alle Umsetzungsentscheide der Vision treffen», erklärt Schulthess. Er betont jedoch, dass an der Gesprächssynode auch 60 Leute aus Verbänden der Pfarrerinnen, der Katecheten und der Diakoninnen, sowie 30 Jugendliche und Theologiestudentinnen teilnehmen.
Um so viele Fragen an einem Tag bewältigen zu können, wurden diese im Vorfeld von einer Expertengruppe gesichtet und 13 «Spannungsfeldern» zugeordnet: «Spiritualität und Theologie», «Tradition und Innovation» oder «Geld und Geist» heissen diese zum Beispiel. «Mir gefällt der Begriff Spannungsfelder,» sagt Schulthess, «es sind eben nicht nur Themenfelder.»
Hat sich beim Sortieren bereits gezeigt, was die Menschen am meisten beschäftigt? Er habe von der Expertengruppe keine Hinweise bekommen, dass ein Themenfeld besonderes Gewicht habe, sagt Schulthess. Nach dem 17. August wird eine sechsköpfige Gruppe die Antworten weiter verdichten, damit Ende Jahr eine Vision mit sieben Handlungsfeldern steht.
Jede Landeskirche hat ihre eigenen Fragen
Schulthess begrüsst, dass sich die Berner Kirchen nicht nur mit Strukturänderungen befassen, sondern dass parallel eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet: «Das kann sich gegenseitig befruchten.» Das sei aber nicht bewusst so gesteuert, beides sei zur selben Zeit aufgebrochen. «Hätten wir das geplant, hätte sicher niemand den Mut gehabt, zwei so grosse Brocken gleichzeitig anzupacken.»
Und warum geht man diesen Prozess nicht gesamtschweizerisch an? «Der Kirchenbund ist mit seiner Verfassung und dem Reformationsjubiläum beschäftigt», sagt Schulthess. Zudem habe jede Landeskirche ihre Prägung und ihre eigenen Fragen. Die Berner lernten aber je nach Bereich auch von den Reformierten in anderen Kantonen. «Der Visionsprozess der St. Galler hat uns sehr inspiriert.» So hofft Schulthess auch, dass die Entwicklungen bei den Bernern wiederum andere Kantone anregen.
Angesprochen auf seine Prognosen, was dieser Visionsprozess in den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn auslösen wird, meint Schulthess abschliessend: «Ich hoffe, dass ein Ruck durch die Kirche geht, dass sie sich neu definiert.» Schon beim Fragensammeln habe er Begeisterung aber auch heftige Reaktionen erlebt. Nicht zuletzt verlässt er sich in diesem Prozess deshalb auf das Handeln des Heiligen Geistes: «Wir vertrauen darauf, dass etwas passiert, was wir Menschen nicht kontrollieren können.»
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch»
Raphael Kummer / ref.ch / 17. August 2016
Die Reformierten stellen sich tausenden Fragen