«Die meisten Menschen, die ich begrabe, kannte ich persönlich»
Es ist laut auf dem Friedhof. Mal brummt ein Rasenmäher, mal ein Bagger, zwischendurch ertönt lautes Hämmern. 100 Wohnungen entstehen gleich neben dem evangelischen Friedhof Romanshorn. Beschweren sich die Angehörigen über den Lärm? «Nein», sagt Herbert Nafzger. Der Baulärm lasse sich nicht vermeiden, und immer sei es nicht so laut.
5000 Verstorbene begraben
Nafzger kennt den Friedhof wie kein Zweiter. 5000 Verstorbene hat er bestattet, schätzt er. Als der gelernte Gärtner das Amt von seinem Vater übernahm, hiess es noch Totengräber. Heute ist er Bestattungsbeauftragter. Ist der Tod aus der Berufsbezeichnung verschwunden, weil er ein Tabu ist? «Möglich», meint Nafzger. «Manche Menschen setzen sich ein Leben lang nicht mit dem Tod auseinander – ist es dann so weit, dann sind sie überrascht», stellt der 62-Jährige nüchtern fest.
«Ich glaube nicht, dass man Angst vor dem Tod haben muss.»
Wie sieht Herbert Nafzger den Tod? «Ich glaube nicht, dass man Angst vor dem Tod haben muss», gibt er zu bedenken. «Man wird geboren, lebt, und irgendwann wird man alt und schwach. Dann darf man auch sterben.» Am traurigsten sei aber der Tod von Kindern: «Das geht mir ans Herz und an die Nieren, wenn ich so einen kleinen Kindersarg ins Grab legen muss.»
Man darf Urne nach Hause nehmen
Obschon Romanshorn einen evangelischen und einen katholischen Friedhof hat, muss man nicht nach Konfession getrennt liegen. «Alle dürfen wählen, wo sie bestattet werden: Reformierte, Katholiken, Konfessionslose», sagt Nafzger. Immer häufiger nehmen die Angehörigen die Urne auch mit nach Hause. «In der Schweiz gibt es keinen Friedhofszwang», so Nafzger. Deshalb sei es erlaubt, die Urne im eigenen Garten zu bestatten. Die Asche über dem Bodensee zu verstreuen, sei hingegen verboten.
Vielfältige Bestattungsformen
Vielfältig sind die Bestattungsformen aber auch auf dem Friedhof. Da gibt es monumentale Grabsteine, auf denen die beruflichen Meriten des Verstorbenen vermerkt sind. Andere Gräber sind nur durch eine schlichte Bodenplatte bedeckt, gezeichnet von Wind und Wetter, die Namen kaum mehr zu entziffern. Das Gemeinschaftsgrab besteht aus zwei grossen Metallgittern, in die blaue Glastäfelchen mit Namen und Lebensdaten der Verstorbenen eingelassen sind. Einige Schritte weiter gibt es üppige Gräber mit individuell gestalteten Grabsteinen. Da sitzt ein lebensgrosser Hund aus Stein auf dem Grab, dort erinnert ein kunstvoll in den Grabstein gehauenes Bibelzitat an die Auferstehung Christi.
Spaten, Schaufel und Schubkarre
Mit 19 Jahren hat Herbert Nafzger zum ersten Mal ein Grab ausgehoben. Mit Spaten, Schaufel und Schubkarre. Was geht ihm beim Schaufeln durch den Kopf? «Wenn du mit jedem Spatenstich tiefer buddelst, da verändert sich das Weltbild», erzählt er. Die Arbeit erledigten die Hände, der Kopf aber habe Zeit zum Nachdenken. «Da nebenan liegt der Hans», denke er dann etwa, «und da vorne jene Frau, die so früh an Krebs gestorben ist.»
Die meisten Menschen, die Herbert Nafzger heute bestattet, kannte er persönlich – auch ihre Kinder, wenn sie zum Trauern auf den Friedhof kommen. «Das ist manchmal fast wie eine Klassenzusammenkunft.» Ihre Rückmeldungen sind es, die ihn für seine Arbeit motivieren. Dass sie sich über das schön bepflanzte Grab freuen. «Das ist mein Berufsstolz. Denn der Friedhof ist nicht nur für die Toten da, sondern auch für die Lebenden.»
Text und Fotos: Stefan Degen, kirchenbote-online
«Die meisten Menschen, die ich begrabe, kannte ich persönlich»