«Die Initiative stösst in der Bevölkerung auf eine breite Unterstützung»
Chantal Peyer, wir stehen gut zwei Wochen vor der Abstimmung über die KVI. Sind Sie mit der Kampagne zufrieden?
Ja. Die Unterstützung ist gross: Mehr als 7000 Freiwillige und 450 Komitees engagieren sich für die KVI. Sie sind motiviert, denn sie wollen, dass die Menschenrechte auch im Ausland eingehalten werden. Für uns ist die Mobilisierung der Kirchen wichtig. 650 Kirchgemeinden beteiligen sich an der Kampagne, manche hängen die Banner an die Türme. Im Oktober haben die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz und die Bischofskonferenz ihr Positionspapier «Wirtschaft braucht Menschenrechte» publiziert. Darin bekräftigen sie, dass sich Unternehmen keinen Wettbewerbsvorteil verschaffen sollten, indem sie Menschenrechte und den Umweltschutz missachten. Die Initiative stösst in der Bevölkerung auf eine breite Unterstützung.
Erstmals in seiner Geschichte hat «Brot für alle» eine Initiative mitlanciert. Warum?
Ja, es ist tatsächlich das erste Mal, dass die kirchlichen Hilfswerke eine Initiative mitlanciert haben und diese mittragen. Unsere Partner in Kongo, Liberia oder Peru erleben seit Jahren, wie die multinationalen Unternehmen Recht brechen. Sei es, dass sie die indigenen Bauern vertreiben, die Luft verschmutzen, giftige Substanzen in die Flüsse leiten oder durch Kinderarbeit. Unsere Recherchen zeigen, dass tausende Menschen davon betroffen sind. Die Verstösse zerstören den langjährigen Entwicklungsaufbau, den die Hilfswerke in diesen Ländern geleistet haben.
Der Abstimmungskampf läuft auf Hochtouren: Gegner der KVI werfen «Brot für alle» vor, Spendengelder für die Kampagne zu missbrauchen.
«Brot für alle» hat eine klare und transparente Rechnungslegung, die im Jahresbericht publiziert wurde. Ein grosser Teil der Einnahmen von «Brot für alle» ist projektbestimmt. Die Spender erklären, wohin ihre Beiträge gehen, diese Gelder werden entsprechend in der Projektarbeit eingesetzt. Die Kampagne zur KVI wird aus dem Konto «Ethisch Wirtschaften Nord» finanziert, im Sinne der Spenderinnen und Spender, die ihre Beiträge dafür vorgesehen haben.
Gehört Entwicklungspolitik zum Auftrag eines kirchlichen Hilfswerkes?
Ja, es gehört zum Mandat, das uns die Kirchen gegeben haben. Entwicklungsarbeit wirkt nur nachhaltig, wenn sie die sozialen und gesellschaftspolitischen Umstände in den Ländern des Südens verbessert. Und wenn die Akteure in den reichen Ländern, einschliesslich der multinationalen Konzerne, ihre Verantwortung wahrnehmen und sich so verhalten, dass sie keine negativen Auswirkungen auf diese Länder haben.
Kritisiert wird zudem, dass die Kirchen für die KVI politisieren. Darf Kirche politisieren?
Die Frage der Menschenrechte ist eine Frage der Menschenwürde. Diese muss die Kirche interessieren, denn sie steht im Zentrum des Evangeliums. Deshalb ist es für mich keine Frage, dass die Kirchen die KVI unterstützen dürfen.
Es gibt jedoch auch Kirchenmitglieder, welche die Initiative nicht unterstützen.
Natürlich, nicht alle sind der gleichen Meinung. Das ist gut so. Doch die Gegner der KVI müssten darstellen, wie der Gegenvorschlag, der bei Ablehnung der Initiative in Kraft treten würde, die Menschenwürde in den betroffenen Ländern besser schützen kann. Da habe ich noch keine überzeugenden Argumente gehört.
Wenn sich die Schweizer Unternehmen wegen der KVI aus diesen Ländern zurückziehen, gehen dort wertvolle Arbeitsplätze verloren, so ein Argument der Gegner.
Das wird nicht der Fall sein. Frankreich kennt ein ähnliches Gesetz. In Grossbritannien, den Niederlanden und Kanada wurde gegen die Mutterkonzerne vor Gericht geklagt. Diese Vorstösse haben keinen Einfluss auf die wirtschaftlichen Investitionen in den betroffenen Ländern. Und sagen Sie mir, wo würde eine Firma wie Glencore Kobalt abbauen? Sie können es ja nicht in Zürich tun!
In der Kampagne fokussiert «Brot für alle» auf Glencore. Warum ausgerechnet diesen Konzern?
Die KVI betrifft die allermeisten Schweizer Unternehmen nicht. Aber es gibt die schwarzen Schafe, welche die Menschenrechte regelmässig verletzen. Seit zehn Jahren beobachtet «Brot für alle» die Aktivitäten von Glencore im Kongo. Wir haben fünf Berichte publiziert und jedes Mal mit der Firma diskutiert. Unsere Recherchen zeigen jedoch, dass sich die Situation im Kongo in den letzten zehn Jahren nicht wesentlich verbessert hat. Es gibt immer wieder Vorfälle. Darum braucht es ein Gesetz.Das ist übrigens nichts Neues: Die gesetzliche Haftung von Schweizer Unternehmen für Handlungen von Tochtergesellschaften im Ausland besteht bereits im geltenden Schweizer Recht: Gemäss Artikel 102.2 des Strafgesetzbuches kann ein Unternehmen in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden, wenn seine Tochtergesellschaft Terrorismus finanziert, Geld wäscht oder korrupte Handlungen begeht.
Warum braucht die Schweiz ein Gesetz, das sämtliche Konzerne betrifft, wenn es doch nur um einzelne schwarze Schafe geht?
Alt-Nationalrat Dick Marty, CO-Präsident der KVI, erklärt jeweils: Die roten Ampeln sind nicht für jene Autofahrer da, die sich an die Verkehrsregeln halten, sondern besonders für die wenigen, die sich nicht darum kümmern.
Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online
«Die Initiative stösst in der Bevölkerung auf eine breite Unterstützung»