Der Traum vom Ende des Hasses
Alles begann am 1. Dezember 1955. Abends in Montgomery, Alabama, Vereinigte Staaten. Die afroamerikanische Näherin Rosa Parks war nach einem strengen Arbeitstag müde. Wie gewohnt setzte sie sich in den städtischen Bus – hinter die für Weissen reservierten Sitzplätze. Der Busfahrer befahl ihr aufzustehen, um weissen Fahrgästen Platz zu machen. Doch Rosa Parks blieb ruhig sitzen. Sie wurde dafür verhaftet und verurteilt.
Damit begann die Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Noch am selben Tag vereinbarten schwarze Kirchenführer einen Busboykott. Sie wollten die Rassentrennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht länger hinnehmen.
Anführer des Streiks
Zum Anführer des Streiks wurde der 26-jährige Baptistenprediger Martin Luther King. Die Stadtverwaltung versuchte, die Bewegung mit Verhaftungen und Prozessen zu bekämpfen. Der Ku-Klux-Klan legte Bomben. Doch die afroamerikanischen Männer und Frauen von Montgomery gingen mit unerschütterlichem Stolz und Würde zu Fuss. Manche nahmen stundenlange Arbeitswege auf sich. Martin Luther lehrte sie unermüdlich die Regeln der Gewaltlosigkeit, ein «Christentum in Aktion». Und nach einem Jahr war es soweit. Das oberste Bundesgericht hatte entschieden: Die Rassentrennung in Bussen ist ungesetzlich.
Dreissigmal im Gefängnis
King wurde weltweit bekannt. Seine Predigten und Reden faszinierten die Massen. In Birmingham, ab 1960 als Pfarrer in seinem Geburtsort Atlanta und in anderen Orten zwang er die Behörden der Südstaaten mit Demonstrationen, Gebetswachen, Geschäftsboykotten und Sit-ins, die Rassentrennung aufzuheben. Dafür sass er fast dreissigmal im Gefängnis. 1963 versammelte er 250’000 Menschen in Washington D.C. «Ich habe einen Traum», rief er ihnen zu, «dass eines Tages auf den roten Hügeln vor Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.» 1964 erhielt er für seinen Kampf den Friedensnobelpreis.
Einfacher Baptistenpfarrer
Im Grunde genommen blieb Martin Luther King ein einfacher Baptistenpfarrer. «Er wird nie als grosser Theologe der Gewaltlosigkeit in die Geschichte eingehen», meinte der inzwischen verstorbene Theologe Al Imfeld. Imfeld war mit King befreundet.
Die letzten Jahre in Kings Leben brachten Veränderungen, die ihm Mühe machten. Die radikale Schwarzenbewegung von Malcolm X entfernte sich von seinen gewaltlosen Idealen. Und King blieb mit seinen Aktionen im Norden der USA weitgehend erfolglos. Er wurde zunehmend gesellschaftskritisch, wandte sich gegen den Vietnamkrieg und ergriff Partei für die Armen. Er sprach unablässig von einer Revolution der Werte und erträumte sich eine «geliebte Gemeinschaft», eine gerechte weltweite Gesellschaft ohne Zerrissenheit zwischen Schwarz und Weiss, Arm und Reich.
Was bleibt, ist, auch fünfzig Jahre nach seinem gewaltsamen Tod, sein Traum vom Ende der Gewalt. Nicht zuletzt bei den Schwarzen Amerikas, die noch immer mit Armut, Ungerechtigkeit und Rassismus konfrontiert sind.
Thomas Schaufelberger
Der Traum vom Ende des Hasses