«Der Glaube geht über schwarze Löcher hinaus»
Heino Falcke, Sie sind Astrophysiker. Was fasziniert Sie an diesem Beruf?
Ich denke, wir leben in einem goldenen Zeitalter der Astrophysik, in dem wir im wahrsten Sinne des Wortes neue Welten entdecken. Wir gehen bis an die Grenzen unseres Wissens. Nirgendwo ist so viel zu entdecken wie im Weltraum. Das gibt uns auch eine neue Perspektive auf uns selber. Deswegen glaube ich, dass das im Moment einer der faszinierendsten Berufe ist, den man haben kann.
Sie haben am ersten Foto eines schwarzen Loches mitgearbeitet. 2019 war es weltweit auf Titelseiten. Was bedeutete dies für Sie?
Es war ein Jugendtraum. Die Idee vom ersten Foto konkretisierte sich dann während meiner Doktorarbeit. Irgendwann hatte ich den Gedanken: Man wird sie vielleicht sehen können. Dann hat es noch 25 Jahre gedauert, bis es wirklich passiert ist. Es brauchte eine weltweite Zusammenarbeit von Wissenschaftern mit verschiedenen Teleskopen, die zusammengeschaltet wurden.
Das Unsichtbare sichtbar machen: Ist es das, was Sie an schwarzen Löchern schon immer fasziniert hat?
Ja, weil es ja auch mythische Objekte sind. Und sie repräsentieren auch eine Grenze des Wissens unserer Wissenschaft. Sie sind umgeben von einer virtuellen Grenze, über die jegliche Information nur hinein, aber nicht mehr herauskommen kann. Wir können jetzt wissen, dass es sie gibt, wir sehen den Schatten des Horizontes, aber wir können nicht wissen und nicht messen, was da darin passiert. Das macht sie so faszinierend über die reine Wissenschaft hinaus.
Ist es nicht beunruhigend, dass es da draussen schwarze Löcher gibt, die alles, egal ob Materie oder Wellen, wie Licht verschlingen?
Ja. Es ist beunruhigend, wenn man sich zu nahe an diese Gefahr heran begibt. Weil sie aber so weit weg sind, sind sie für uns keine Gefahr. Und: Um sie zu beobachten und das Universum zu erforschen, dafür sind wir Astronomen ja da. Die wirklichen Gefahren aus dem Weltall sind eher Asteroiden, die auf der Erde einschlagen könnten. Wir müssen uns bewusst sein: Aus der astronomischen Forschung wissen wir, dass unsere Zeit begrenzt ist im All. Insofern gibt es viele Untergangsszenarien. Die schwarzen Löcher sind die eher unwahrscheinlichsten.
Sie sind Prädikant in der Evangelischen Kirche in Frechen und treten als Prediger auf. Wie kam es dazu?
Ich war in meiner Jugend jemand, der ein Nerd war und hinter den damals neuen Computern gesessen hat. Ich habe in der kirchlichen Jugendarbeit und im Glauben eine Heimat gefunden. Im CVJM habe ich auch Verantwortung übernommen für Jugendliche. Ich habe mich sehr viel mit der Bibel beschäftigt, weil ich immer schon sehr neugierig war und an grundlegenden Fragen des Lebens und an der Welt rütteln wollte. Ich habe sogar kurz überlegt, Theologie zu studieren, habe es aber wegen mangelnder Sprachbegeisterung damals sein lassen. Ich habe Jugendgottesdienste gemacht. Irgendwann hat der Pfarrer mich gefragt, ob ich nicht Prädikant werden möchte, um meine Gaben da einzusetzen.
Sie kommen aus einem christlichen Elternhaus.
Tatsächlich gibt es in der Familie auch den einen oder anderen Pfarrer (lacht). Bis hin zu Probst Heino Falcke in Erfurt, der in der DDR und der friedlichen Revolution eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Familie meiner Mutter kommt aus einer sehr langen Familientradition einer evangelischen Minderheit in einem katholischen Umfeld. Glauben muss aber jeder für sich selber neu entdecken. Ich wurde nicht zum Glauben hin erzogen, es war irgendwann eine bewusste persönliche Entscheidung.
Sind Glaube und Wissenschaft vereinbar?
Ich frage mich immer: Warum sollen sie nicht vereinbar sein? Seit Jahrhunderten sind Wissenschafter getrieben von denselben Fragen wie Theologen. Oft waren sie selbst religiös. Die wissenschaftliche Herangehensweise mit ihren Selbstzweifeln und ihrer Skepsis tun der Kirche auch gut.
Wissenschaft wiederum ist ja nicht in der Lage, alle Fragen zu klären. Sie kann keine Warum-Fragen klären, keine Fragen nach dem Sinn. Sie ist auch nicht gemacht, um Gemeinschaften Trost zu geben. Die Wissenschaft kann auch nicht sagen, wo das Universum letztlich herkommt und wo wir hingehen werden. Ich glaube, Wissenschaft und Glaube brauchen einander. Mehr denn je!
Sie sagen das vehement. Warum?
Weil wir uns sozusagen vollständig dem Götzen Wissenschaft verschrieben haben und glauben, dass sie oder eine App alle unsere Fragen beantworten kann. Das ist wie eine Art moderner Fundamentalismus, der hoffnungslos wirkt. Wir brauchen aber wieder mehr Glauben, mehr Hoffnung! Und zwar einen vernünftigen Glauben! Das ist mir sehr wichtig. Sonst haben wir ein Wildwachstum von vielen spirituellen, esoterischen und abergläubischen Gedanken.
Was lehrt der Glaube, was die Wissenschaft nicht kann?
Der Glaube lehrt, über das hinaus zu gehen, was wir sehen. Er gibt Halt und Hoffnung. Er lernt aber auch aus der Erfahrung der Menschen aus vielen Generationen, die diesen Halt erlebt haben. Er gibt eine andere Perspektive auf die Welt und auf sich selbst. Wer bin ich? Für mich sage ich: ein geliebtes Kind Gottes, nicht nur eine Ansammlung von Naturgesetzen und Hormonen. Ich bin gewollt hier. Das sind Fragen, die mir die Wissenschaft nicht beantworten kann.
Wo hat Gott in Ihrem wissenschaftlichen Weltbild Platz? Wie erfahren Sie das konkret?
Zum einen als der Schöpfer und als unverfügbare und doch nahbare Kraft in dieser Welt. Sie ist unverfügbar, und doch hoffe und vertraue ich auf sie. Es gibt in meinem Leben immer wieder auch Momente der Gotteserfahrung. Sei es im Gebet, in der Gemeinschaft, eine Kraft, die verbindet, und in der Schönheit des Himmels und in der Weite des Universums.
Früher stellte man sich einen beseelten Himmel vor. Das hatte etwas Tröstliches. Die Astronomie hat den Himmel leergeräumt.
Ich glaube nicht, dass der christliche Himmel seine Seele bei den Sternen verortet hat, sondern jenseits der Sterne, bei Gott. Gott war der Schöpfer der Sterne. So steht es auch schon in Genesis. Insofern hat die moderne Astronomie vielleicht ein griechisches Weltbild zertrümmert, aber nicht das Christliche. Ich bin immer noch jemand, der an ein Leben nach dem Tod glaubt. Als grosse Kraft, die aus der Auferstehung Christi kommt. Dieser Glaube wird durch das Schauen auf den Himmel nur noch grösser. Die Weite des Himmels finde ich eher eine Inspiration – als ein Widerpart des Glaubens.
Glauben Sie an einen Anfang des Universums? Anders gefragt: Wie stellen Sie sich den Urknall vor?
Ein Kollege hat mal gesagt: Die moderne Astronomie gibt den ersten zwei Wörtern der Bibel «Am» – «Anfang» – Recht. Dieses Universum hatte einen Anfang. Mit Anfangsbedingungen und Regeln, aus denen heraus das Universum entstand. Der christliche Glaube sagt, dass Gott spricht. Gott spricht für mich auch Naturgesetze. Gott hat über den wahren Anfang einen Schleier gelegt, wie es der katholische Priester, Astrophysiker und Urknallentdecker Georges Lemaître einmal sagte. Den kann die Wissenschaft nicht durchdringen.
Zum Schluss: Sind schwarze Löcher das Ende des Universums?
Dieses Universum entwickelt sich tatsächlich dahin, dass am Ende alles zerfällt und schwarze Löcher das Endstadion von fast allem sind. Das sind die Grabsteine des Universums: Verwitterte Grabsteine, wo kein Name mehr draufsteht. Insofern kann Wissenschaft keinerlei Hoffnung bieten. Der Glaube schon. Der geht über schwarze Löcher hinaus.
Buchtipp
«Kekskrümel im All. Wie gross ist die Unendlichkeit?» Vorlesebuch mit Kinderwissen über das Weltall, Heino und Dagmar Falcke, Gareth Ryans (Illustrationen)
«Der Glaube geht über schwarze Löcher hinaus»