«Das Klingeln des Weckers ist ein Traumkiller»
Frau Kast, wann haben Sie zuletzt etwas geträumt, an das Sie sich erinnern können?
Heute Morgen.
Würden Sie den Traum mit uns teilen?
Nein. (lacht) Träume sind etwas sehr Privates. Ausser sie handeln von etwas Harmlosem, etwa, dass ich meine Vorlesungsunterlagen verloren habe.
Hat man diesen Traum als Professorin öfters?
Schon hin und wieder. Lieber erinnere ich mich jedoch an einen Traum, den ich sehr schön gefunden habe. Ich war an der Uni Zürich, als ein Windstoss alle Unterlagen mitgenommen und über die ganze Stadt verteilt hat. Das hat mir gesagt: Klammere dich nicht an deine Papiere, trage dein Wissen in die Welt hinaus.
Schreiben Sie Ihre Träume auf?
Ich habe meterweise «Traumbücher», in denen ich früher minutiös all meine Träume aufgeschrieben habe. Jetzt halte ich sie auf dem Computer fest, aber nur noch diejenigen, die ich irgendwie speziell finde oder nicht verstehe.
Beschäftigen Sie sich später nochmals damit?
Ja, ich spiele mit meinen Träumen gerne imaginativ herum. Ich finde es gut, wenn man nicht vorschnell «Was bedeuten sie jetzt?» fragt, sondern schaut: «Was sind es für Bilder, welche Gefühle werden ausgelöst?» Es geht also weniger darum, woher die Inspiration zu einem Traum kommt, als wohin er uns führen will.
Träumen manche Menschen mehr als andere?
Nein, manche können sich einfach besser erinnern und andere weniger. Offenbar brauchen wir die Träume, um unsere Gefühle zu verarbeiten und unsere Seele nach einem aufwühlenden Tag wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Was empfehlen Sie Menschen, die Mühe haben, sich an ihre Träume zu erinnern?
Zunächst ist es wichtig, dass man in Ruhe zu Bett geht, also vorher nicht unbedingt Fernsehen schaut, und sich überlegt: «Was ist mir gerade wichtig? Was ist heute geschehen? Spüre ich mich?» Das ist auch gut für die Schlafhygiene. Dann sollte man sich vornehmen: «Ich werde mich an den Traum erinnern.» Manche legen sich einen Stift neben das Bett, um sich Notizen zu machen, wenn sie erwachen. Man sollte am Anfang jedoch nicht zu hohe Erwartungen haben. Vielleicht erinnert man sich nur, dass es im Traum zuerst grau war und dann gelb wurde und welche Gefühle damit verbunden waren. Träume zu erinnern lernt man übrigens leichter in den Ferien, da der schrille Ruf des Weckers ein Traumkiller ist.
Was halten Sie von Traumdeutungsbüchern?
Da bin ich skeptisch. Wenn ich zu schnell zu definieren versuche, was ein Traum bedeutet, finde ich nicht heraus, was er mir als Individuum sagen will. Wir kommen eher hinter sein Geheimnis, wenn wir ihn selbst ausphantasieren und mit unserem Alltag verweben.
Sind Albträume ein Warnsignal?
Sie warnen nicht vor einem bevorstehenden Ereignis, aber sie sagen: Ich habe ein emotionales Problem, dem ich mich zuwenden sollte. Wer traumatisiert ist, sollte jedoch zu einem Fachmann oder zu einer Fachfrau gehen. Mit ihrer Hilfe kann man an den Albträumen arbeiten und sie verändern.
Haben Sie sich auch mit dem Traum im Christentum beschäftigt?
Wie die Träume von Josef im Alten Testament? Sicher. Das tun wir alle mal. Sie sind relativ leicht lesbar, zum Beispiel der Traum von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen. Ich finde es spannend, dass es in der Bibel Träume gibt und Josef als Traumdeuter eine Bedeutung bekommt.
Es gibt auch Wunschträume. Wovon haben Sie als Kind geträumt?
Als 12-Jährige wollte ich Jugendbuchschriftstellerin werden. Ich habe wahnsinnig gerne gelesen, fand aber, dass es nicht genügend Lesestoff gibt – also muss ihn eben jemand schreiben! (lacht) Ich bin zwar nicht Jugendbuchschriftstellerin geworden, aber immerhin Autorin von Sachbüchern. In gewisser Hinsicht ist der Traum also in Erfüllung gegangen.
Ihr neues Buch trägt den Titel «Träumend imaginieren». Wen möchten Sie damit erreichen?
Das Buch ist für Menschen geschrieben, die sich für das Wesen von Traum und Imagination interessieren. Es zeigt auf, wie wir mit unseren Vorstellungen, Phantasien und Tagträumen die Bilder und die mit ihnen verbundenen Gefühle besser verstehen können. Und wie die Nachtträume unsere Phantasien im Wachen beeinflussen und verändern.
Reinhold Hönle, kirchenbote-online
«Das Klingeln des Weckers ist ein Traumkiller»