News von der Glarner reformierten Landeskirche

Dann, wenn das Herz brennt

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11.04.2022
Für den Dogmatiker Reinhold Bernhardt ist der Glaube an die Auferstehung die zentrale Botschaft des Christentums. Für ihn gilt es, die Zeichen dieser Hoffnung in der Welt zu sehen.

Reinhold Bernhardt, wie feiern Sie Ostern?
Wahrscheinlich wie viele andere. Ich besuche einen Gottesdienst und hoffe, dass es schöne Frühlingstage sein werden. Ich gehe gerne nach draussen und erlebe das Wiedererwachen der Natur.

Gemäss einer Umfrage in Deutschland ist für 79 Prozent der Befragten Ostern in erster Linie ein Familienfest. 23 Prozent besuchen einen Gottesdienst. Früher war das anders. Hat die Osterbotschaft heute noch ihre Bedeutung?
Da gibt es das ganze Spektrum: angefangen bei den Christen und Christinnen, welche die Osterbotschaft regelrecht leben. Sie besuchen in der Karwoche die täglichen Passionsandachten, beschreiten Kreuzwege, um das Leiden Jesu physisch mitzuvollziehen, wie etwa die Gläubigen, die Kreuze durch die Via Dolorosa in Jerusalem tragen. Für andere ist Ostern ein Kulturgut, das man als Familien- oder Frühlingsfest feiert. Und am Ende des Spektrums stehen diejenigen, denen das Ganze nichts bedeutet. Als eine Schulklasse in Ostdeutschland eine Kirche besuchte, in der ein Kreuz hing, fragten manche Kinder, was das Pluszeichen an der Wand solle. Sie kannten nicht einmal mehr das Symbol des Christentums.

In Predigten werden Ostern und die Auferstehung Christi oft mit dem Erwachen der Natur verglichen. Reicht dies?
Eigentlich nicht, der Vergleich bietet zwar schöne Anknüpfungspunkte, gerade für die poetischen Besinnungen. Aber es besteht ein gravierender Unterschied: Beim Erwachen der Natur geht es um ein Aufwachen aus dem Winterschlaf. Bei der Auferstehung geht es um ein ganz neues Leben aus dem Tod, um etwas vollkommen Neues, eine Neuschöpfung. Wenn man ein Bild aus der Natur benutzen möchte, wäre es jenes von einem abgestorbenen Baumstumpf, aus dem ein neuer Spross wächst. Diese Vorstellung passt besser als die gängigen Verwandlungsbilder, etwa das Bild von der Raupe, die zum Schmetterling wird.

Wie würde ein Historiker das Geschehen von Karfreitag und Ostern beschreiben?
Die Historiker können über die Kreuzigung und die Tage zuvor einiges sagen, über die politischen Hintergründe, die Römer, die diesen Aufständischen aus der Welt schaffen wollten, und über den Konflikt mit den jüdischen Autoritäten. Die Ereignisse lassen sich gut rekonstruieren. Sie sind vor allem in den Evangelien Matthäus, Markus und Lukas ziemlich anschaulich überliefert, wenn auch aus der Perspektive des Auferstehungsglaubens.

Und über Ostern?
Darüber können die Historiker nichts sagen, das entzieht sich dem historischen Blick. Mit dem «Kleinen Prinzen» gesagt: Die Auferstehung ist nicht mit den Augen zu sehen, sondern nur mit dem Herzen zu erspüren. «Sucht den Lebenden nicht bei den Toten!», wird den Frauen am Grab gesagt: «Da ist nichts zu sehen.»

Die Historiker stellen jedoch fest, dass aus einer zerschlagenen jüdischen Splittergruppe plötzlich eine neue Bewegung entstand.
Ja. Augenfällig ist vor allem, was mit den Jüngern passiert, wie sie aus ihrem Trauma und ihrer Depression auferstehen. Nach der Kreuzigung Jesu waren seine Anhänger verzweifelt und liefen auseinander. Und plötzlich, als wäre ein Schalter umgelegt, vollzieht sich ein Sinneswandel. Das beschreibt die Geschichte vom Gang nach Emmaus wunderbar (Lukas 24). Die Erstarrung der Jünger löst sich, sie machen sich auf den Weg, kommen zusammen und spüren die Anwesenheit des Auferstandenen. Ihr Herz fängt Feuer. Und sie beginnen nach dem Sinn des Erlebten zu fragen. Es ist mindestens so spannend, über die Auferstehung der Jünger nachzudenken wie über die Auferstehung Jesu.

Mit Verlaub, die Medien diskutieren regelmässig darüber, ob das Grab von Jesus nun voll (Jesus gestorben und nicht auferstanden) oder leer war. Spielt diese Frage für den Glauben keine Rolle?
Für Christinnen und Christen, die die Auferstehung als ein körperliches Geschehen verstehen, muss das Grab leer gewesen sein. Paulus hatte ein anderes Verständnis. Er verstand Auferstehung als Neugeburt in einem geistlichen Leib. Und selbst wenn das Grab leer war, was besagt das schon? Schon im Neuen Testament wird das Gerücht überliefert, dass der Leichnam Jesu gestohlen wurde.

Was sagt ein Dogmatiker wie Sie zu den österlichen Berichten?
Es geht um die Glaubensbedeutung des Geschehens. Die zentrale Bedeutung vom Tod und von der Auferstehung Jesu ist, dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat. Wenn man bei Gott ist, dann muss man den Tod letztlich nicht fürchten. Das Sterben vielleicht, aber nicht den Tod. Der Tod ist nicht die Falltür ins Nichts, sondern man fällt in Gott hinein. Der Tod bedeutet dann ein ewiges Bei-Gott-Sein.

Das Neue Testament berichtet, dass die Jünger Schwierigkeiten hatten, den Auferstandenen zu erkennen. Der ungläubige Thomas brauchte den Beweis der Wunden, andere Jünger erkannten ihn erst, als ihnen das Herz brannte oder sie mit Christus das Brot brachen.
Für mich lautet der entscheidende Satz: «Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen, auch der Tod nicht.» (Röm 8,38). Wer aus diesem Glauben lebt, der lebt gewissermassen aus der Kraft der Auferstehung. Das kann man alleine tun oder in der Gemeinschaft, das kann man beim Abendmahl erfahren, man kann aus diesem Glauben handeln und anderen, die am Boden liegen, aufhelfen.

Das bedeutet: Auferstehung geschieht auch mitten im Leben?
Ja. «Auferstehung» ist ja ein Bildwort: Da liegt jemand, der steht wieder auf und kommt zu einem neuen Leben. Wenn man sich die Auferstehungshoffnung existenziell in seinem Glauben, seinem Leben und seinem Handeln zu eigen macht, wird sie erfahrbar.

Wenn einem das Herz für etwas brennt, dann spürt man diese Verheissung?
Genau! Wenn das Herz von der Liebe und für die Liebe Gottes brennt. Die Beziehung Gottes zu mir endet nicht, wo mein Leben endet, wo meine Kräfte mich verlassen. Er trägt mich durch Leiden und Tod. Das ist Auferstehungsglaube.

Weihnachten erzählt, dass Gott den Menschen in der Geburt Jesu nahekommt. Das können viele nachvollziehen, die das Wunder einer Geburt erlebt haben. Die Auferstehung von den Toten ist eine andere Qualität: Kann man die Auferstehung intellektuell erfassen?
Weihnachten knüpft an der Erfahrung der Geburt an, der Karfreitag am Widerfahrnis von Leiden und Sterben. In der Geburt Jesu ist Gott den Menschen nahegekommen, und im Leiden und Sterben bewährt sich diese Nähe. Ob man die Auferstehung intellektuell begreifen kann, hängt davon ab, wie man sie versteht. Es geht nicht um die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern um neues Leben in Gott: eine Neuschöpfung.

Sich dies vorzustellen, ist schwierig.
Keineswegs. Wir alle kennen das Gefühl, dass wir uns manchmal wie neu geboren fühlen, ein ganz neuer Mensch sind. An solche Erfahrungen würde ich anknüpfen.

Kann man ohne den Glauben an die Auferstehung Christ sein?
Paulus sagt in 1. Korinther 15, 14–19, klar: Der christliche Glaube hängt am Auferstehungsglauben.

Etliche Christen und Christinnen betonen, für sie spiele die christliche Nächstenliebe die entscheidende Rolle.
Richtig, es gibt viele, für die die Auferstehung nicht so wichtig ist, sie orientieren sich am Leben Jesu, an seiner Verkündigung, an seinem Handeln und folgen ihm nach. Mir fehlt da aber die Hoffnung, dass mich nichts von der Liebe Gottes trennen kann, auch der Tod nicht, wie Paulus schreibt. Diese Hoffnung lässt sich nicht aus dem Leben und der Verkündigung Jesu unmittelbar erschliessen, dazu muss ich den Weg Jesu durch den Tod zur Auferstehungsgewissheit mitgehen. Man kann es beim Jesus-Glauben belassen, dann ist es aber kein Christus-Glaube.

Welches Bild zeigt für Sie am besten Ostern?
Es gibt in der Bibel viele Hoffnungsbilder. Viele davon sind gar nicht auf den Einzelnen, sondern auf die politischen Verhältnisse bezogen – das Bild von Jerusalem als einer Stadt des Friedens. Das ist auch ein wichtiger Aspekt der Osterbotschaft. Es geht bei Auferstehung auch um die Überwindung von Unmenschlichkeit und von all dem, was vor Gott keinen Bestand hat. Das Bild dafür ist das «Reich Gottes». Wie aktuell diese Botschaft ist, zeigt jeder Blick ins Weltgeschehen.

In Anbetracht des Krieges fehlen zurzeit solche Hoffnungsbilder. Wo ist da die Osterbotschaft?
Gerade für die Menschen in der Ukraine ist die Osterbotschaft wichtig. Nach der Leidensgeschichte Jesu, wie sie im Markusevangelium erzählt wird, ist Jesu letztes Wort: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Viele Menschen in der Ukraine erleben sich als von Gott und der Welt verlassen. Im Licht des Auferstehungsglaubens betrachtet war Jesus aber nicht von Gott verlassen. Gerade am Tiefpunkt seines Leidens war er bei ihm. Diese Hoffnung gilt auch für die Situation in der Ukraine. Gott kann nicht unmittelbar intervenieren, er hat nur die Kraft des Geistes und der Liebe. Aber er ist da und schenkt Menschen Kraft und Halt. Das ist ein wichtiger Aspekt der Auferstehung.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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