An der Schnittstelle zwischen Kunst und Kirche
Der Anstoss zur Gründung der Lukasgesellschaft vor 100 Jahren kam aus Kreisen fortschrittlicher Theologen, Architekten und Künstler. Sie wollten einen neuen Kirchenbau und eine qualitätvolle Kirchenkunst fördern. Das war auch bitter nötig: Die katholische Kirche war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf einem antimodernistischen Kurs. So herrschte auch ein sehr konservatives Verständnis von Kirchenbau. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es grosse gesellschaftliche Aufbrüche, in der Architektur zum Beispiel das Neue Bauen. Bis in die 1980er-Jahre gab es einen Kirchenbauboom.
Was war charakteristisch an diesen neuen Kirchenbauten? Matthias Berger, reformierter Theologe und Präsident der Lukasgesellschaft, sagt dazu: «Die künstlerische Ausstattung orientiert sich an der Moderne mit ihren Tendenzen hin zur einfachen Form, Abstraktion und zu einer starken Autonomie der Farbe.»
Räume der Stille statt Kirchenbauten
Es werden kaum mehr neue Kirchen gebaut, aber Räume der Stille: in Bahnhöfen, Flughäfen und Institutionen wie Krankenhäusern und Kliniken. «Wir stellen immer wieder fest: Viele Architekten haben gute Ideen, aber wenig Know-how, was aktuelle Phänomene wie Interreligiosität oder Transreligiosität betrifft. Hier können wir Beratungen anbieten», sagt Matthias Berger über die Rolle der Lukasgesellschaft.
Immer wieder fragen Kirchgemeinden um Beratung an: «Die Nutzung der Kirchen verändert sich. Sie werden vielfältiger genutzt.» Oft stehen diese Bedürfnisse im Konflikt mit den feststehenden Kirchenbänken. Hier kann die Lukasgesellschaft mit ihrem Wissen beraten.
Keine Überwältigungskunst
Temporäre künstlerische Interventionen an und in Kirchen boomen. Nicht alle visuellen Strategien eignen sich jedoch, um spirituelle Themen im Kontext Kirche und Kunst zu transportieren. Immersive Kunstperformances etwa, so Matthias Berger, müssen überlegt eingesetzt werden, damit sie die Leute nicht überwältigen. Spannend findet er visuelle Strategien, bei denen ein Überraschungsmoment entstehe: «Ein Objekt beispielsweise, das durch seine Bildsprache auf etwas hinweist, was ich nicht sehe und nicht erfassen kann.»
«Art Map»: Kunstinterventionen in Schweizer Kirchen
Anlässlich des Jubiläums «100 Jahre gegenwärtig» haben Künstlerinnen und Künstler in fast 30 Kirchen künstlerische Interventionen realisiert oder es finden Veranstaltungen zu historischen Werken von Mitgliedern der Lukasgesellschaft statt.
KI-Jesus in Luzern
Unter anderem ist in der Luzerner Peterskapelle die Kunstinstallation «Deus in machina» zu erleben. In einem Beichtstuhl, in dem Worte nur für vier Ohren bestimmt sind, teilen die Besucherinnen und Besucher ihre Gedanken und Fragen mit einem himmlischen Hologramm. Eine künstliche Intelligenz, die ästhetisch als Jesus erscheint, wird darauf reagieren und vielleicht einen heiligen Moment schaffen.
Informationen zu allen 30 Kunstinterventionen finden sich auf der «Art Map».
Die Projekte werden anlässlich der Jubiläumstagung der Lukasgesellschaft offiziell lanciert. Sie findet am 31. August 2024 im Pfarreizentrum St. Josef in Köniz statt. www.lukasgesellschaft.ch
Künstler vermitteln
Die Lukasgesellschaft ist ein Netzwerk. Künstler und Kirchen können sich gegenseitig befruchten. Dazu ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Bereits zum vierten Mal seit 2021 wird in diesem Jahr ein Kunstschaffender der Lukasgesellschaft eingeladen, den Raum der Stille der Bahnhofkirche in Zürich zu gestalten.
Ein weiteres Beispiel: Vorstandsmitglied Marco Schmid ist theologischer Mitarbeiter in der Peterskapelle in Luzern. Sie und die reformierte Matthäuskirche laden jeweils in der Passionszeit zeitgenössische Künstler für kreative Interventionen ein. «Sie haben schon öfters Künstlerinnen und Künstler der Lukasgesellschaft angefragt», sagt Matthias Berger.
Höhepunkte des Jubiläumsjahres
Das Jubiläumsjahr wartet mit zahlreichen Höhepunkten auf. Matthias Berger nennt beispielsweise das Jubiläumsjahrbuch der Lukasgesellschaft. Dann die fast 30 Kunstinstallationen, die in Kirchen von St. Gallen bis Romont zu besichtigen sind. Sie sind in einer Kunstkarte verzeichnet. Die Westschweiz ist für den reformierten Theologen deshalb erwähnenswert, weil auch die Ursprünge der Lukasgesellschaft in der Romandie liegen. Bereits 1919 habe es dort eine Gründung gegeben. Im Vitromusée Romont gibt es denn auch eine Ausstellung über «100 ans du Groupe de Saint-Luc».
Vorfreude herrscht im Vorstand der Lukasgesellschaft auch auf die Jubiläumstagung im Pfarreizentrum St. Josef in Köniz selbst. Sie steht unter dem Thema: «Spirituelle Spuren in Kunst und Architektur». Bemerkenswert ist das Hauptreferat «Gibt es eine jüdische Kunst?». Wird die Lukasgesellschaft zu einer überkonfessionellen Plattform? Die Lukasgesellschaft hat sich von einer rein katholischen zu einer konfessionell immer offeneren Bewegung gewandelt. Matthias Berger sagt: «Nicht nur ich denke, wir sollten uns weiter öffnen gegenüber Menschen, die von nicht christlichen Religionen geprägt sind.»
An der Schnittstelle zwischen Kunst und Kirche