News von der Glarner reformierten Landeskirche

Gedanken zum Phänomen der Stellvertretung

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29.11.2022
Pfarrer Beat E. Wüthrich aus dem Chlytal schreibt über die Stellvertretung. An welchen Stellen werden wir vertreten und wie kann sich das auf unseren Glauben auswirken?

«Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.»

Von eng frommen Strömungen wird der stellvertretende Kreuzestod von Jesus-Christus (angesprochen in diesem Abendmahlstext) gänzlich «vergeistigt» und somit weitgehend für das diesseitige Leben «auf Eis gelegt». Liberale christliche Kreise dagegen, stehen mit dieser «Sühne» oft im «Glaubens-Krieg» und der nicht-religiöse Mensch kann damit sowieso wenig anfangen. So bleibt diese Lehre theologisiert und fern, ärgerlich oder schlicht unbrauchbar. Vielleicht hätte aber das Phänomen der Stellvertretung, das darin enthalten ist, mehr Überlegung verdient.

Stellvertretungen im Alltag

Die Stellvertretung beginnt schon im Mutterleib, wenn die werdende Mutter isst und trinkt und sogar atmet(!) anstelle des Babys, welches diese lebenswichtigen Gesten gar nicht ausführen kann und das Phänomen setzt sich gesellschaftlich überall durch. Ein Musik- oder Sportidol vertritt das ganze Land und auch die Kirche hinkt nicht nach. «Wir sind Papst!» stand als grosser Titel auf der Bildzeitung als Kardinal Ratzinger Papst wurde. Ebenso sind politische Funktionen in einer Demokratie meist stellvertretend. Wir haben, bewusst oder nicht, moralische Vorbilder, die uns «vertreten», damit unsere eigene Unzulänglichkeit überhaupt ertragbar ist und nicht von ungefähr wird die Stellvertretung heute sogar dramaturgisch für Therapien verwendet.

Wir beten für alle

Unsere Gottesdienste sind immer auch stellvertretend. Wir gehen nicht nur für uns in die Kirche, wir gehen für alle, wir beten für alle und wir beten anstelle derer, die es nicht können. Alle unsere Dienste in Pflege und Handreichung sind stellvertretend. Unsere Hände sind halt nicht nur unsere, sondern gehören auch denen, die keine haben und unser Leben und Sterben gehören allen.

Kämpfen für unsere Werte

Trotzdem gibt es Menschen, die finden es absurd, dass ein Gottmensch, gelebt und gestorben sein soll für die ganze Menschheit, dass sein Sterben die Auferstehung der Kirche bewirkte und weit über die Grenze seiner Zeit uns zum Leben verbunden hat, in dieser Welt und in der künftigen. Ganz ähnlich sträuben sich Menschen gegen die Beobachtung, dass Frauen und Männer an der ukrainischen Front irgendwie für uns kämpfen sollten. Dass ihr Sterben weit über ihre Grenzen hinaus die Freiheit Europas bedeuten soll und vielleicht die der ganzen Welt. Das eine, wie das andere sind aber krasse, ungeschminkte Wahrheiten. Unzählige Geschehnisse stehen in dieser Kategorie. Wenn wir in den kommenden Feiertagen das Abendmahl miteinander einnehmen, wollen wir doch daran denken, mit welch teuren Opfern unser Leben, unsere Freiheiten und unser Heil erkauft sind.

Ich wünsche Euch allen besinnliche Festtage!

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