News von der Glarner reformierten Landeskirche
Flüchtlingswelle der Hugenotten und Waldenser

1687: 9000 Flüchtlinge, 5000 Einwohner in Schaffhausen

von Carmen Schirm-Gasser
min
25.10.2024
Im 17. Jahrhundert nahm Schaffhausen Tausende von Hugenotten auf und stand vor zahlreichen Herausforderungen. Einmal im Jahr führt der Archäologe und Historiker Laurent Auberson durch die Stadt und zeigt Orte, die an die Schicksale der Hugenotten und Waldenser erinnern.

Es gab eine kurze Zeit in der Geschichte, während der vielleicht mehr Französisch in der Stadt Schaffhausen gesprochen wurde als Deutsch. Das war 1687, zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle. Innert eines Jahres waren rund 9000 Flüchtlinge nach Schaffhausen gekommen und blieben mehrere Tage, Wochen, manchmal gar Monate. 9000 Menschen waren damals eine ganze Menge für eine Stadt, die gerade mal 5000 Einwohner zählte.

Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 flüchteten rund 100'000 bis 200'000 Protestanten aus Frankreich. Dabei war es streng verboten, das Land zu verlassen. Ziel der französischen katholischen Regierung war es, die Untertanen nötigenfalls mit Gewalt vom «richtigen» Glauben zu überzeugen. So flüchteten die meisten Unwilligen heimlich und machten sich auf eine Reise, die sehr gefährlich war.

Die Schweiz war zwiespältig

Endlich in Genf angekommen, hatten die Menschen das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Jedoch: «Die Schweiz war in ihrer Haltung gegenüber dieser Flüchtlingswelle zwiespältig», sagt Laurent Auberson. «In evangelischen Orten wie Bern, Zürich, Basel oder Schaffhausen hatte man Mitleid mit der Not der Glaubensgenossen. Doch es bestanden noch politische und wirtschaftliche Interessen.» Man wollte Frankreich nicht vor den Kopf stossen, da es ein guter Abnehmer für Schweizer Söldner war. Zudem gab es gerade dort, wo die Zünfte stark waren, wie in Bern, aber auch in Schaffhausen, Widerstand gegen die Aufnahme der Flüchtlinge. Denn gut ausgebildete französische Handwerker wurden als Konkurrenz angesehen, die für die eigenen Leute gefährlich werden könnte.

Baronin war begeistert von der Stadt

Von Genf aus ging es zwar sicherer, doch noch immer beschwerlich weiter. Die meisten waren zu Fuss unterwegs oder über die Wasserwege. Die einzige gefährliche Stelle, die es zu überqueren galt, war Solothurn. Die Stadt war eine katholische Hochburg, in welcher der französische Botschafter residierte. Bern konnte sich mit Solothurn einigen, dass die Flüchtlinge auf Schiffen vorbeifahren durften, ohne jedoch Halt zu machen, um ihre gefährliche Propaganda zu verbreiten.

Auf der Flucht ereigneten sich zahlreiche persönliche Schicksale aufgrund von Krankheiten oder auch Todesfällen. Aber auch schöne Erlebnisse sind überliefert. Eine Baronin aus Südfrankreich zeigte sich begeistert von der Stadt Schaffhausen. Sie konnte es sich leisten, im Hotel Krone zu übernachten. Von dort aus schrieb sie Briefe an ihren Mann, der zurückgeblieben war, in denen sie die Gastfreundschaft der Schaffhauser und die Annehmlichkeiten der Stadt pries. Die meisten anderen Flüchtlinge waren nicht so komfortabel untergebracht. Sie mussten in Ställen oder Scheunen wohnen.

Schlussendlich blieben um die 20'000 Flüchtlinge in der Schweiz, ein paar Dutzend in Schaffhausen. Die grosse Mehrheit der Geflüchteten reiste weiter, wohl wissend, dass sie in Ländern wie Brandenburg, der Pfalz oder Hessen sehr willkommen waren. Nach dem Dreissigjährigen Krieg waren diese Länder verwahrlost und hatten bis zu einem Drittel der Bevölkerung verloren.

Mode der Französinnen regte auf

Jene Hugenotten, die in Schaffhausen geblieben waren, gründeten ihre eigene Kirchgemeinde. Dies gleich aus mehreren Gründen. «Die Landeskirche war nicht erpicht auf eine Integration, zumal man sich liturgisch nicht einig war. Zudem hatte man Vorurteile und Bedenken gegenüber der französischen Mode», sagt Laurent Auberson. Während es in Bern und Schaffhausen Sittenmandate gab, wie man sich zu kleiden hatte, traten die Französinnen in einem Look auf, den man bislang nicht kannte. Zu breit waren die Kleider, zu geschmückt und üppig die Frauen mit Locken und Hauben. So stellte man sich den Calvinismus nicht vor. Die französische reformierte Kirchgemeinde in Schaffhausen gibt es bis heute.

 

Stadtrundgang «Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser», Samstag, 26. Oktober, 14–15.30 Uhr, Münsterportal, Schaffhausen. www.ref-sh.ch/denk-mal-sh

Wanderweg: Auf Initiative der Stiftung VIA gibt es einen Wanderweg, der in 28 Tagen von Schaffhausen nach Genf führt. www.via-huguenots.ch

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