News von der Glarner reformierten Landeskirche

«In Basel habe ich den Judenstaat gegründet»

min
22.08.2017
Grossandrang herrschte am Montagabend im Basler Hotel Drei Könige. Über 300 Gäste besuchten die Jubiläumsveranstaltung zum ersten Zionistenkongress, den Theodor Herzl vor 120 Jahren hier ausrichtete.

Der erste Zionistenkongress der Welt fand 1897 in Basel statt. 120 Jahre später luden der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG und die Jüdische Gemeinde Basel zu einem Gedenkanlass. Über 300 Interessierte wollten am Montag im Hotel Drei Könige die Vorträge und Diskussionsrunden hören.

Dass Theodor Herzl als Austragungsort Basel wählte, habe, so Pierre Heumann, Nahostkorrespondent der Basler Zeitung, weniger mit der heute gerne betonten Weltoffenheit der Stadt zu tun als mit ihrer damaligen Abkapselung: «Die Universität Basel tolerierte keine ausländischen Studenten, also auch keine revoluzzenden ostjüdischen Russen wie in Zürich. Basel war nach Wien, München und Zürich als Wunschorte nicht mehr als eine Notlösung – aber eine, die zum Glücksfall wurde». Selbst die Wahl des Hotels Drei Könige entsprang lediglich dem Umstand, dass Herzl das Essen im vorgesehenen Hotel «Braunschweig» nicht passte.

«Hoch den Juden»
Grösser als erwartet sei die kleine Feier geworden, befand Herbert Winter, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. Noch vor wenigen Wochen sorgte das Jubiläum für nationale Schlagzeilen, weil der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Gast erwartet wurde. Sicherheitsbedenken und Planungsverzug führten zur Absage des Grossanlasses, was die Basler Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann in ihrer Rede ansprach.

Unter den Gästen waren auch viele Mitglieder jüdischer Gemeinden. Das war vor 120 Jahren nicht der Fall. «Skeptisch, aber nicht ablehnend standen die Basler Juden Herzls Zionismus gegenüber», sagte Winter. Die Basler Bevölkerung war offenbar positiver eingestellt, denn am Festumzug feierte sie die rund 200 Kongress-Delegierten mit dem Ruf «Hoch die Juden», wie eine Zeitung berichtete. Bis zur Gründung Israels gab es nicht weniger als 22 Zionistenkongresse. 14 von ihnen fanden in der Schweiz statt. Herzl hatte vor, in Basel ein Zionistenkongresshaus zu bauen, führte Pierre Heumann in seinem Vortrag aus, allein es fehlte das nötige Geld.

Utopisches Staatsgebilde eingeübt
Natürlich durfte im Redenreigen eine Tagebuchnotiz Theodor Herzls nicht fehlen: «In Basel habe ich den Judenstaat gegründet». In spätestens 50 Jahren sollte er Realität sein, so Herzl – es wurden 51 Jahre. Die Wirkung der Zionistenkongresse habe darin bestanden, dass das anfangs utopische Staatsgebilde fünf Jahrzehnte eingeübt werden konnte und deshalb bei der Gründung von Beginn weg funktionierte, erläutere Erik Petry, Stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel.

Abgeschlossen sei die Diskussion über den Zionismus deshalb aber nicht, befand der Politikwissenschaftler Laurent Goetschl: «Das Verhältnis zwischen Staat und Religion ist weiterhin nicht geklärt, auch jenes der jüdischen Bevölkerung zur nicht jüdischen, insbesondere die Tendenz, die nicht jüdischen Einwohner zu entrechten.» Darüber zu sprechen, sei heute problematisch, die Wortwahl sehr schwierig, schloss Goetschl.

Kein ungetrübtes Verhältnis
Die Ausrichtung der Zionistenkongresse in der sicheren Schweiz sei ein Grund, weshalb die Schweizer Juden sich dem Staat Israel bis heute in besonderer Weise verbunden fühlen, erklärte Jonathan Kreutner, Historiker und Generalsekretär des SIG.Eine Beziehung, die indes nicht immer konfliktfrei war.

Für Verunsicherung sorgte 1893 das Schächtverbot. Ein Thema, das derzeit mit dem Vorstoss für ein Importverbot von nicht tiergerecht produziertem Fleisch wieder aktuell ist. Pierre Heumann beurteilte auch die Unterstützung der Basler Protestanten und Bibelgläubigen 1897 als nicht ganz uneigennützig. «Sie hofften, dass wenn die Juden nach Israel zurückkehrten, die Wiederkunft Christi schneller komme.»

Einen Blick auf das heutige Israel und die Nahostregion warf zum Abschluss eine Journalistenrunde unter Leitung von Roger Schawinski. Ob Theodor Herzl heute einen oder zwei Staaten gründen würde, fragte er Markus Somm, Chefredaktor der Basler Zeitung. «Ganz klar einen Staat. Theodor Herzl war ein früher Nationalist, sein Zionismus ein ethnisches, aber kein Multikulti-Projekt.»

Jubiläum in Israel kaum beachtet
Auf die Beziehung der arabischen Bevölkerung zum Staat Israel ging NZZ-Korrespondent Ulrich Schmid ein. «Die arabischen Einwohner Israels haben ein kompliziertes Verhältnis zu ihrem Staat. Die arabischen Israeli sind aber zu zwei Dritteln stolz, Israeli zu sein. Etwas, von dem man in der Berichterstattung hierzulande nichts hört und liest.» Er hielt auch fest, dass das 120-Jahre-Jubiläum in Israel kaum zur Kenntnis genommen werde: «125 Jahre ist ein Jubiläum. Die Israeli haben ein feines Gespür für solche Anlässe.»

In allen Voten des Abends war unbestritten und kam klar zum Ausdruck, dass das Existenzrecht Israels nicht zur Debatte steht und verteidigt werden muss. Wenn es um die politische Ausrichtung ging, waren die Meinungen gespaltener. Pierre Heumann sagte es so: «Die jetzige Regierung macht es den Optimisten sehr schwer» und der Chefredaktor der Basellandschaftlichen Zeitung, David Sieber, meinte: «Wer über Israel berichtet, egal wie, bekommt immer Haue.» Dass Journalisten punkto Israel durchaus Positives erreichen können, hielt Markus Somm fest: «Theodor Herzl ist bisher der einzige Journalist, der einen Staat gegründet hat.»

Franz Osswald, kirchenbote-online, 22. August 2017

Unsere Empfehlungen

Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

Die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Auch die Kunst des Landes leistet ihren Beitrag dazu. Das Kunstmuseum Basel präsentiert derzeit in der Ausstellung «Born in Ukraine» eine Auswahl bedeutender Werke aus der Kyjiwer Gemäldegalerie, dem nationalen ukrainischen Kunstmuseum.
Frauen mit einem abenteuerlichen Herzen

Frauen mit einem abenteuerlichen Herzen

170 Jahre nach der Gründung des Diakonissenhauses Riehen beleuchtet eine Ausstellung mit Fotos und Texten die Geschichte der Kommunität. Sr. Delia Klingler lebt seit 2017 als Schwester hier. Der Kirchenbote hat mit ihr die Ausstellung besucht.
Die Moral erobert die Politik

Die Moral erobert die Politik

Die Klimadebatte sei moralisch und religiös aufgeladen. Dies führe zu Unversöhnlichkeit, sagt der Publizist Felix E. Müller. Statt vom Weltuntergang zu reden, müsse die Politik den pragma­tischen Kompromiss suchen.
Die Moral erobert die Politik (1)

Die Moral erobert die Politik (1)

Die Klimadebatte sei moralisch und religiös aufgeladen. Dies führe zu Unversöhnlichkeit, sagt der Publizist Felix E. Müller. Statt vom Weltuntergang zu reden, müsse die Politik wieder den pragmatischen Kompromiss suchen.